Cover DETAIL Heft 12/2016

Inhalt:

1. Vom Phänomen zur systemischen Ordnung der Farben

2. Die wichtigsten Farbregister und Farbsammlungen der Architektur

3. Zur Aktualität von Le Corbusiers Farbsammlung „Polychromie Architecturale„

4. Die wichtigsten Farbsysteme der Architektur

5. Zur Wechselwirkung von Licht- und Körperfarben in der Architektur

6. Kriterien zur Auswahl und Qualitätssicherung von Farben

1. Vom Phänomen zur systemischen Ordnung der Farben

Farbe ist ein Naturphänomen, erschaffen von den Brechungen, Reflexionen und Absorptionen des Lichts und genetische Einflussgröße bei der Entstehung und Diversifizierung des Lebens auf der Erde. Die gesamte Umwelt ist ein Farbsystem, das unzähligen Spezies ihr Überleben sichert. Die Produktion von Farbstoffen in der Pflanzenwelt dient nicht nur der Photosynthese und damit dem Wachstum von Organismen, sondern schafft auch Orientierung für Insekten, Vögel, Säugetiere, Reptilien und Amphibien, welche gezielt angelockt werden, um die Ausbreitung und Befruchtung zu gewährleisten. Unser Empfinden für die Schönheit der Naturfarbigkeit folgt daher der intuitiven Einsicht in ein Symbolsystem, über dessen Farbcodes mehr als 20 Millionen Arten kommunizieren. Der Mensch transformiert und erweitert diese natürliche Ordnung der Farben beständig durch die Farbgestaltung seines Kulturraums, dessen Farbigkeit stets aktuelle gesellschaftliche Anforderungen nach Orientierung, Abschreckung, Anlockung, Tarnung, Identität, Verhaltenskontrolle sowie soziokultureller Kommunikation widerspiegelt.

Die prämoderne Ordnung der Farben unserer Dörfer und Städte, der Gebäude, Infrastrukturen, Parks, Felder und Nutzwälder erzeugt eine intuitive Form der Orientierung im Kulturraum, da sie Funktionen und Nutzungsmöglichkeiten eindeutig abgrenzt und allgemeinverständlich bezeichnet. Die Farbgestaltung des Kulturraums erfolgte bis zum Zeitalter der Globalisierung auf der Grundlage natürlicher Ressourcen an Materialien und Farbstoffen, wodurch sich regional diversifizierte Farbkulturen herausgebildet haben. Für besonders wichtige Gebäude wurden oftmals kostbare Baustoffe und Farbstoffe importiert, weshalb diese häufig als Landmarken aus dem Kanon regionaler Architekturfarbigkeit herausstechen. Derselben Systematik folgte zumeist auch die deutliche Unterscheidung der Farbigkeit von öffentlichen und privaten Räumen. Wichtige Orte und Gebäude sind auch für Fremde sofort an prägnanten Farben und Formen erkennbar und übernehmen so die Funktion eines intuitiven Orientierungs- und Leitsystems. Wir orientieren uns nahezu ausschließlich an der Farbigkeit von Fassadenoberflächen, die uns als räumliche Komposition von Körpern vor ihrem Hintergrund erscheinen. Die gesellschaftliche Ordnung prämoderner Gesellschaften spiegelt sich daher nicht nur im Formenrepertoire und der Materialität des öffentlichen Raums, sondern gleichermaßen auch in der Architekturfarbigkeit. Farbe ermöglicht Differenzierung, Kategorisierung und Identifizierung. Die Ästhetik historischer Architekturfarbigkeit folgt dieser Funktion. Auf Grund dieser herausragenden Bedeutung für die Lesbarkeit historischer Stadtbilder steht die Farbigkeit als authentischer Bestandteil unseres baukulturellen Erbes unter Denkmalschutz und wird wo möglich sorgfältig rekonstruiert.

Die Praxis systematischer Beschreibungen von Farbtönen anhand standardisierter Farbmuster und Normvereinbarungen entwickelte sich daher auch erst mit der Industrialisierung moderner Gesellschaften. Die Entdeckung synthetischer Farbstoffe forcierte die Entstehung der chemischen Industrie, die heute jährlich mehr als 9 Mill. Tonnen Farbmittel produziert. Global tätige Chemiekonzerne wie Bayer, Merck, Hoechst und BASF begannen ihre Entwicklung mit Patenten auf synthetisch hergestellte Farbstoffe, die das Erscheinungsbild unserer Siedlungsräume und Gebrauchsgüter weltweit revolutionierten. Die Qualität der neuen Farbstoffe musste internationalen Industriestandards genügen, was die Erarbeitung wissenschaftlich fundierter Farbsysteme forcierte. Im Auftrag des Deutschen Werkbundes forschte der Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald bereits 1914 an einem Farbsystem für die praktische Anwendung in Architektur, Handwerk und Industrie. Der nach ihm benannten „Ostwaldsche Doppelkegel“ liegt noch heute vielen Farbsystemen zu Grunde.

2. Die wichtigsten Farbregister und Farbsammlungen in der Architektur

Die Industrialisierung aller Bereiche unseres Lebens fordert weltweit verbindliche Farbstandards zur Gewährleistung konstanter Oberflächenqualitäten für Planung und Produktion von Architektur und Gebrauchsgegenständen. Aus diesem Grund begann Anfang des 20. Jahrhunderts die Entwicklung normierter Farbsammlungen, wie der 1927 vom Reichsausschuss für Lieferbedingungen (RAL) geschaffene RAL Farbkatalog. In der heutigen Praxis ermöglichen frei erhältliche oder gegen eine Schutzgebühr käufliche Farbregister und Farbsammlungen die Kommunikation zwischen Hersteller und Kunden. Sie bestehen aus genormten Referenzfarbmustern, die Rechtsverbindlichkeit zwischen Kunden und Hersteller ermöglichen. Der Hersteller kann die Muster in Form von Materialproben produzieren, was dem Kunden einen realistischen Eindruck der Farbwirkung vermittelt, da Einflussgrößen wie die Oberflächenstruktur, die Farbtiefe oder der Glanzgrad in die Bewertung eingehen können. Andere Hersteller stellen Farbregister oder Farbsammlungen aus bedruckten oder bestrichenen Papieren zur Verfügung, deren Farbtöne nach einem Industriestandard bezeichnet sind.

Die wichtigste Farbsammlung für den Bereich der Architektur ist noch immer die bereits 1927 eingeführte „RAL Classic“, welche heute 213 genormte Farbtöne enthält, die in weiten Teilen der Industrie reproduziert werden können. Bei der Auswahl neuer Farbtöne wird auf Zeitlosigkeit wert gelegt, weshalb sich aktuelle Farbtöne wie Trendfarben besser im Farbkatalog „RAL Effect“ finden lassen, der 490 Uni- und 70 Metallic-Farbtöne enthält. Wer nach Kunststoffmustern sucht, wird bei

„RAL Plastics“ fündig, eine Farbsammlung, die 100 der am häufigsten nachgefragten Farbtöne verfügbar macht. Darüber hinaus bietet die „RAL Akademie“ in Kooperation mit dem „Deutschen Farbenzentrum e.V.“ und dem „Haus der Farbe Zürich“ seit 2015 regelmäßig Fortbildungen für die Farbgestaltung in Architektur und Handwerk an.

Die weltweit wichtigste Farbsammlung für den Printbereich ist das „Pantone Color Matching System“, dessen 1755 Sonderfarben den CMYK Druckfarbraum erheblich erweitern. Auf Grund steigender Nachfrage von Architekten, Handwerkern und Privatkunden hält der Farbenfachhandel heute zunehmend auch Mischeinheiten vor, mit denen sich Pantone-Farbtöne nach Kundenwunsch herstellen lassen. Die wichtigsten Pantone Farbsammlungen gehören zum Standard aller Adobe Programme, während Druckereien weltweit auf originale Pantone-Druckfarben zugreifen können. Das sorgt für Sicherheit und Vielfalt bei der Auswahl und Realisierung von Printprodukten, die in vielen Ländern der Erde gleichermaßen farbsicher verwendet werden können. Eine Vielzahl von Farbsammlungen kann in Form von Farbfächern, Büchern oder Ringbuchseiten erworben werden, die neben gestrichenen und ungestrichenen Papieren auch Pastell-, Metallic- und Neonfarben enthalten. Die meisten Produkte werden jährlich aktualisiert, was bei kostenintensiven Anschaffungen beachtet werden sollte. Die Produktpalette der Pantone Farbsammlungen richtet sich heute nicht mehr nur an Grafikdesigner, sondern zunehmend auch an Produktdesigner sowie mit starken Einschränkungen auch an Innenarchitekten. Der Einsatz von Pantone-Farbsammlungen für Baumwolle, Nylon und Kunststoffe hilft bei der Auswahl textiler Farben für das Interiordesign. Zur Bestimmung von Wandfarben und Produktfarben sind die Produkte hingegen nur bedingt geeignet, da die Farbcodes zumeist in gebräuchlichere Standards wie RAL oder NCS umgerechnet werden müssen. Der Vertrieb aller Produkte wird durch die Herausgabe von Trendinformationen sowie ein internationales Beratungs- und Schulungsnetzwerk unterstützt. Alternativ bieten sich die in Europa weit verbreiteten „HKS-Farbfächer“ und Farbbücher an, die gleich den Pantone-Farbsammlungen zum Standard aller Adobe Programme gehören, jedoch verhältnismäßig preisgünstig zu erwerben sind.

3. Zur Aktualität von Le Corbusiers Farbsammlung „Polychromie Architecturale„

Le Corbusier hat die Wirkmächtigkeit von Farbe für die Architektur der Moderne erkannt, wenn er feststellt: „Die Farbe in der Architektur ist ein ebenso kräftiges Mittel wie der Grundriss und der Schnitt. Oder besser: Die Polychromie, ein Bestandteil des Grundrisses und des Schnittes selbst.“ In der von Artur Rüegg neu zusammengestellten und mit großem Erfolg publizierten „Polychromie Architecturale„ ist nicht nur eine eindrucksvolle Farbsammlung der „Le Corbusier-Farben“ dokumentiert, sondern auch die Theorie und das System für ihre Anwendung in der Architektur.

Der theoretische Ansatz Le Corbusiers gründet sich auf die von ihm selbst praktizierte Form der abstrakten Malerei, in der er Farben nicht mehr naturalistisch, sondern als Experimentierfeld menschlicher Wahrnehmung einsetzt. Ihm war klar, dass Farbe selbst eine Botschaft zum Ausdruck bringt, die wahrgenommen wird und Reaktionen bewirkt, wie das puristisch revolutionäre Kalkweiß inmitten bürgerlicher Quartiere oder die Modernisierung tradierter Innenraumkonzepte durch freie Kompositionen von Farbfeldern. Farben sind für ihn ein Werkzeug zur tektonischen Formung von Raum, der hierdurch für den wahrnehmenden Betrachter gebildet, nach harmonischen Prinzipien gegliedert und über die Materialisierung der dreidimensionalen Komposition ins Werk gesetzt wird.

In seiner Farbsammlung stellt er ein Repertoire an Weißtönen und farbigen Grautönen, sandigen und ockerfarbigen Naturtönen sowie kräftige Buntfarben zusammen. Die von ihm als harmonische Farbklaviaturen bezeichneten Farbsammlungen sind jeweils einem Thema wie „Raum, Himmel, Samt, Mauer, Sand, Landschaft oder Buntscheckig“ zugeordnet. Jede Farbklaviatur setzt sich aus drei großen Farbfeldern zusammen, die den Hintergrund oder das Umfeld für zwei melodische Obertonreihen aus jeweils 14 kleinteiligen Farbfeldern bilden. Anwender können aus dem Repertoire an Grund- und Obertönen eigene Farbkompositionen entwickeln, ohne Formfehler bzw. Missklänge zu erzeugen. Wichtig war Le Corbusier, das die Gesamtkomposition, die mit Hilfe von Schablonen oder frei gewählt werden kann, in jeder Zusammenstellung harmonisch und thematisch eindeutig bleibt. Die Anwendung seines Systems hat er in der Villa La Roche realisiert.

Das systemisch anwendbare Werkzeug wurde von ihm für die Praxis des Architekten konzeptioniert, die in der Regel keine malerische Grundbildung besitzen und sich auf Grund der Komplexität ihres Berufes meist nur unzureichend mit den ästhetischen, tektonischen und semantischen Wirkungen von Farben im Raum auseinandersetzen. Die Farbtöne der Klaviaturen von Le Corbusier werden heute von der in Uster (Schweiz) ansässigen Farbenmanufaktur kt.Color aus weitgehend originalen Pigmentrezepturen hergestellt und vertrieben, auch wenn der Name „Le Corbusier Farben“ aus urheberrechtlichen Gründen nicht mehr verwendet werden darf.

Bild Farbsammlung Polychromie Architecturale von Le Corbusier, Foto Axel Buether

 4. Die wichtigsten Farbsysteme der Architektur

Die systematische Ordnung der Farben erfolgt nach den drei für die Farbwahrnehmung grundlegenden Eigenschaften „Buntton Helligkeit und Farbsättigung“. Alle Farbsysteme sind in Form dreidimensionaler Koordinatensysteme aufgebaut, deren Achsen nach dem Polaritäts- oder Gegensatzprinzip funktionieren. Entsprechend dem Verwendungszweck sind Kugeln, Würfel, Kegel oder Rhomboeder in Gebrauch. Auf der Helligkeitsskala stehen sich Hell und Dunkel bzw. Schwarz und Weiß gegenüber. Auf der Sättigungsskala stehen sich jeweils ein Grauton und ein Buntton gegenüber. Die Bunttonskala ist sehr häufig in Form eines Farbkreises angeordnet, in dem sich die physiologisch bestimmten Grundfarben Gelb und Blau sowie Rot und Grün komplementär gegenüberstehen. Komplementarität bedeutet, dass zwei Farbtöne in der Gegenüberstellung maximal kontrastieren und in der Mischung einen unbunten Grauton erzeugen. Auf den Skalen lassen sich beliebig viele Mischfarbtöne bestimmen, die nach dem Prinzip der Gleichabständigkeit von Probanden geprüft und an das Empfindungsspektrum unseres visuelles Wahrnehmungssystem angepasst werden. Im Zentrum des Farbkreises befindet sich zumeist ein mittleres unbuntes Grau, das sich zum Schwarz abdunkelt, während es zur anderen Seite bis zum Weiß aufhellt. Die zwei wichtigsten Farbsysteme für Architektur, Stadtplanung, Design, Handwerk, Baubehörden und Denkmalpflege sind das „RAL-Design-System (RAL Design)“ und das „Natural Colour System (NCS)“. Für beide Systeme werden Farblesegeräte angeboten, mit dem sich die Farbbezeichnungen an realen Oberflächen decodieren lassen. In der Praxis erweist sich ein Farbfächer jedoch als das zuverlässigere Werkzeug, da Oberflächenmerkmale und Alterungserscheinungen zu Abweichungen bei der Digitalisierung des vorgefundenen Farbtons führen.

Das „Natural Colour System (NCS)“basiert auf dem System des „Ostwaldschen Doppelkegels“, der einen dreieckigen Rotationskörper beschreibt. Der Doppelkegel setzt sich aus farbtongleichen Dreiecken zusammen, deren Seiten durch einen spezifizierten Buntton sowie Schwarz und Weiß definiert werden. Die farbtongleichen Dreiecke setzen sich aus Einzeltönen unterschiedlicher Farbsättigung und Helligkeit zusammen.Jeder NCS-Farbton nimmt eine genau definierte Stelle im Farbsystem ein und lässt sich eindeutig verorten. Farbtöne lassen sich vom Nutzer visuell oder numerisch bestimmen. Die Bezeichnung NCS 1050 – R50B verweist auf ein Violett, das sich in der Mitte zwischen Rot und Blau befindet (R50B) mit einem Schwarzanteil von 10% (10) und einer Farbsättigung von 50% (50). Numerische Abstufungen lassen sich in allen Richtungen des NCS-Farbraums mit dem Faktor 10 vornehmen. (Bild NCS-Farbraum) Der NCS-Farbraum weist 1950 Farbtöne aus, die als Farbfächer, Musterkarte oder Farbatlas erhältlich sind.

Das „RAL-Design-System“ besteht aus 1625 farbmetrisch gleichabständigen Farbtönen, die nach dem CIELab-Farbraum geordnet sind. Dieser wahrnehmungsbezogene Farbraum ist heute Industriestandard und für Farbmessgeräte einfach lesbar. Er ermöglicht die stufenlose Berechnung von Farbtönen, die in andere Farbräume wie RGB, CMYK oder HSB konvertierbar sind. Jeder Farbton besitzt eine eindeutige Kennung, aus der sich der Grundfarbton (Farbkreis 0-360°), die CIELAB-Helligkeit (Skala 0-100 zwischen Schwarz und Weiß) sowie die Sättigung oder Chromazität ablesen lassen. Bei RAL 190 30 90 handelt es sich um ein dunkles Blaugrün mit einer geringen Helligkeit 30 und einer hohen Sättigung von 90. RAL-Design ist erhältlich als Farbfächer, Musterkarte oder Farbatlas.

Aus Gründen der Praktikabilität wird bei allen Farbsystemen auf die Erfassung vieler qualitativer Eigenschaften der Farbe wie Leuchtkraft, Intensität, Transparenz, Reinheit, Glanz, Stumpfheit, Struktur oder Farbtiefe verzichtet, was ihren Aussagewert für die architektonische Praxis einschränkt. Oberflächenwirkungen, Alterserscheinungen, Größenverhältnisse, Nachbarschaftseinflüsse, Unregelmäßigkeiten oder physikalische Faktoren wie Reflektion, Transmission und Absorption von Licht können damit nicht erfasst werden. Hieraus werden die Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen erkennbar, die Farbsysteme für die Praxis der Architektur besitzen.

Bild RAL Design System, Foto Axel Buether

5. Zur Wechselwirkung von Licht- und Körperfarben in der Architektur

Die mathematische Definition und Vermessung des technisch nutzbaren Farbraums führte 1931 zur Festlegung des noch heute in Abwandlung gültigen „CIE-Normvalenzsystems“ (CIE Internationale Beleuchtungskommission). Farbmetriker vermessen den wahrnehmbaren Farbraum, in dem sie die Empfindungen von Farbreizen verallgemeinern und durch Farbmaßzahlen definieren. Sie sprechen von Farbvalenzen, welche die durchschnittliche Wirkung einer definierten Lichtquelle auf eine Referenzgruppe kennzeichnen. Die Messung von Farbvalenzen erfolgt heute in Referenz auf die „CIE-Normfarbtafel“, in der sich die unterschiedliche Sensitivität unseres visuellen Wahrnehmungssystems auf spektrale Wellenlängenbereiche ablesen lässt. Die blauvioletten Bereiche am unteren Rand des wahrnehmbaren Lichtspektrums (ab 380 Nanometer) sind darauf ebenso schmal wie die rotorangen Bereiche am oberen Rand (700nm). Der mittlere grüne Bereich umfasst hingegen 90% aller wahrnehmbaren Farbtöne, nimmt man den grüngelben und blaugrünen Bereich hinzu. In diesem mathematisch definierten Farbraum, der die Grenzen unserer Farbwahrnehmung festlegt, sind die technisch definierten Farbräume wie der „Druckfarbraum CMYK“ oder der „Lichtfarbraum RGB“ einbeschrieben.

Die „CIE-Normfarbtafel“ schafft die Grundlage für das „Colormanagement“, das den „farbtreuen“ Informationsfluss zwischen Eingabe- und Ausgabegeräten wie Scanner, Fotoapparat, Monitor und Drucker gewährleistet. Da alle anderen technisch nutzbaren Farbräume darauf aufbauen, sind Definitionen und Umrechnungen zwischen Licht- und Körperfarben heute problemlos möglich. Dieser weltweit gültige allgemeinverbindliche technische Standard schafft die Voraussetzung für die Kontrolle der Farbdarstellung von Projektoren, Monitoren, Displays, Leuchten und Leuchtmitteln sowie die Farbverbindlichkeit von Druckprodukten, Textilien und anderen Gebrauchsgütern. Für die Umrechnung von RGB und CMYK Werten zu Farbsammlungen wie RAL, HKS oder Pantone gibt es keine Formeln, doch existieren Tabellen, die im Netz frei verfügbar sind.

Für die Architektur ist der mathematisch definierte CIE-Farbraum von großer Bedeutung, da er als Grundlage für die Festlegung der „Lichtfarbe“ und damit der „Atmosphäre“ von Räumen dient. Zur Messung der atmosphärischen Qualitäten von Lichtquellen nutzen wir die „Farbtemperatur“ und den „Farbwiedergabeindex“. Als Referenz dient uns immer das Spektrum des Sonnenlichts, das allen Oberflächen ihre gewohnte Körperfarbe verleiht. Die Farbkonstanz unseres visuellen Systems ist dafür verantwortlich, dass wir die vielfältigen Wechsel aller Licht- und Oberflächenfarben während des Tages nur dann wahrnehmen, wenn wir sie gezielt beobachten. Ohne diese Leistung unseres Wahrnehmungssystems könnten wir Körperfarben niemals eindeutig bestimmen. Das Sonnenlicht wechselt im Verlauf der Tages- und Jahreszeiten vielfach zwischen dem warmweißen Bereich, der bis zu 3.300 Kelvin reicht, und dem kaltweißen Bereich, der von 5.000 – 16.000 Kelvin verläuft. Kühles weißes Tageslicht zwischen 5.000 und 6.000 Kelvin prägt die Morgenstunden. Es aktiviert den menschlichen Organismus, erzeugt eine gute Arbeitsatmosphäre und steigert unsere Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft. Annäherungen bieten das Tageslichtweiß von Leuchtstofflampen und LED-Leuchtmitteln. Warmweißes Licht hingegen kennzeichnet die Abendstunden. Die niedrigen Farbtemperaturen schaffen Atmosphären der Ruhe und Entspannung. Farbtemperaturen von ca. 1.500 K, die von Kerzenlicht und offenem Feuer erreicht werden, empfinden wir als rötlich warm und sehr behaglich. Das Licht von Glühlampen und Halogenlampen ist etwas höher im warmweißen Bereich bei etwa 2.700 K verortet, wirkt daher leicht gelblich und angenehm natürlich, vor allem weil es zudem auch gute Werte im „Farbwiedergabeindex“ erreicht.

Am Farbwiedergabeindex lässt sich erkennen, wie stark eine Lichtquelle die Oberflächenfarben ihrer Umgebung verändert. Energieeffiziente Leuchtmittel senden oftmals nur Teile des sichtbaren Lichtspektrums aus, weshalb fehlende Farbanteile wie z.B. Rot nicht wiedergegeben werden können. Im Prüfverfahren werden die Veränderungen von 14 Testfarben gegenüber dem Spektrum des Sonnenlichts gemessen. LED-Leuchtmittel erreichen im Mittel einen Farbwiedergabeindex von ca. 80%, während Leuchtstofflampen nur ca. 50% schaffen und damit starke Veränderungen der Körperfarben von Menschen, Räumen und Objekten bewirken. Viele Farbbereiche werden nicht mehr oder komplett verfälscht wahrgenommen. Die energetisch ineffiziente Glühlampe erreicht hingegen bis zu 100% und damit die größte mit gebräuchlichen technischen Mitteln erreichbare Nähe zum Farbspektrum des Sonnenlichts. Die Abmusterung von Farbtönen in der Industrie erfolgt daher unter Normlicht in speziellen Lichtkabinen. Die Bemusterung der Farbigkeit von Fassaden und Innenräumen sollte wo möglich unter Tageslichtbedingungen zur Mittagszeit erfolgen oder unter realistischen Kunstlichtbedingungen. Lichttechnische Parameter wie die Beleuchtungsstärke, Farbtemperatur und der Farbwiedergabeindex sollten festgelegt werden, um spätere Abweichungen der bemusterten Farbtöne auszuschließen.

Bild: Farbtemperatur (Black-Body-Kurve), Standardbeleuchtung, RGB und CMYK-Farbräume in der CIE-Normfarbtafel

7. Kriterien für die Auswahl und Qualitätssicherung von Farben

Die ästhetische Wirkung von Architekturfarbigkeit wird durch die Wechselwirkung von Materialfarbigkeit und Lichteinfluss im gebauten Raum bestimmt. Die ästhetische Wirkung der Farbe verändert sich mit dem Winkel der Sonne zum Bauteil, mit der Jahreszeit, der Tageszeit und dem Wetter. Aufstriche und Farbdrucke auf strukturlosen Papieren oder Darstellungen auf Computermonitoren haben nur dann einen Aussagewert, wenn Planer und Ausführende alle Einflussfaktoren kennen und ihre räumlichen Wirkungen beurteilen können. Farbverbindlich sind letztendlich nur Musterflächen, die unter realen Bedingungen am Einsatzort begutachtet werden. Doch auch hier bleibt ein hohes Planungsrisiko, da aus Gründen von Wirtschaftlichkeit und Praktikabilität nur wenige Varianten bemustert werden können, die anhand von Farbsystemen und Farbsammlungen bestimmt werden. Die Kontrolle der ästhetischen Wirkungen von Farbe im Raum ist auch an großen Musterflächen nur bedingt realisierbar, da sich Farbtöne wechselseitig beeinflussen (Simultankontrast) und mit ihrer Ausdehnung und Lage im Gesichtsfeld verändern. Die gesamte Materialästhetik verändert sich zudem mit dem Standpunkt des Betrachters im Raum, was bei Simulationen im Computer niemals erfasst werden kann. Zieht man alle Einflussgrößen gebauter Räume in Betracht, reduziert sich der Aussagewert von Farbmustern erheblich.

Obgleich unsere Farbwahrnehmung die Unterscheidung von vielen Millionen Farbtönen ermöglicht, reduziert sich die Palette in der architektonischen Praxis auf die am Markt verfügbaren Baustoffe und Anstrichmittel. Da grundsätzlich jeder Baustoff eine Farbe besitzt, sind Farbentscheide im Planungsprozess und am Bau unumgänglich. Für die ästhetische Beurteilung und Auswahl der Farbigkeit von Baumaterialien stellen die meisten Hersteller farbverbindliche Muster zur Verfügung, deren Vorauswahl im Beratungsgespräch, im Katalog oder auf der Webseite vorgenommen werden kann. In der Regel wird die Farbsammlung vom Hersteller vor dem Fertigungsprozess festgelegt, der sich an der Nachfrage sowie aktuellen Trends ausrichtet. Um einen Überblick zu erhalten, sollten Planer und Ausführende daher die Farbsammlungen mehrerer Hersteller in den Blick nehmen, bevor sie sich für einen Baustoff oder ein Produkt entscheiden. Ästhetische Orientierung bieten Referenzprojekte, deren Farbigkeit nicht nur an Abbildungen, sondern nach Möglichkeit auch am realen Objekt beurteilt werden sollte. Durch Objektbegehungen lassen sich auch Farbtöne und Farbkompositionen von Baustoffen und Produkten überprüfen, die nach Kundenwunsch hergestellt wurden (Customizing) und nicht als Muster verfügbar sind. Referenzobjekte sind die zuverlässigste Grundlage für die Beurteilung der vielfältigen Wirkungen von Architekturfarbigkeit.

Bild Bemusterung von Farbtönen für das Marrahaus Heilbronn im Maßstab 1:1 zur Kontrolle der Kontrastwirkungen, Licht- und Schattenwirkungen und Blickperspektiven, Foto Axel Buether

Glaubt man den Versprechungen von Herstellern und Vertreibern, sollten für Anstrichmittel wie Lacke, Dispersionsfarben, Silikat- und Kalkfarben alle verfügbaren Farbtöne zur Verfügung stehen. Die freie Wahl der Farbtöne von Anstrichmitteln ist jedoch aus technischen und wirtschaftlichen Gründen unmöglich. Anstrichmittel bestehen nicht nur aus Pigmenten, sondern zu großen Teilen aus Füllstoffen sowie Binde- und Lösungsmitteln. Die Qualität der Bestandteile bestimmt die Palette der herstellbaren Farbtöne, deren Wirkung und Dauerhaftigkeit. Qualität von Inhaltsstoffen hat ihren Marktpreis, weshalb die Kosten handelsüblicher Anstrichmittel stark differieren. Fordert man bei der Bestellung oder im Ausschreibungstext wie üblich den Fartbton nach einem gebräuchlichen Farbsystem an, erhält man aus Gründen der Wirtschaftlichkeit in der Regel ein kostengünstiges Anstrichmittel, dessen Farbtiefe, Brillanz und Dauerhaftigkeit sehr gering ist. Die Hersteller haben sich auf die Nachfrage nach kostengünstigen Produkten eingestellt und bieten ihre qualitativ hochwertigeren Anstrichmittel daher meist nur auf Anforderung an.

Achtung: Die Auswahl des Farbtons nach Farbsystemen wie RAL oder NCS trifft verbindliche Aussagen zum Buntton, die Sättigung und die Helligkeit des Papiermusters! Wie der Farbton tatsächlich im Raum auf der Oberfläche in der Materialisierung wirkt, lässt sich damit nicht bestimmen. Zur Bestimmung der Wahrnehmungsqualität eines Anstrichmittels gehört der Glanzgrad des Farbtons, da pudrige, matte oder hochglänzende Oberflächen das Umgebungslicht extrem unterschiedlich reflektieren. Darüber hinaus müssen Aussagen zur Transparenz getroffen werden, da dünne Lasuren die Materialfarbe der Oberfläche durchscheinen lassen, während mehrschichtige Lasuren eine höhere Farbtiefe erreichen. Das Sonnenlicht verändert die meisten Anstrichmittel in wenigen Monaten und Jahren sehr stark, weshalb die Lichtbeständigkeit von Anstrichmitteln zu beachten ist. Wichtig für die Gewährleistung der Qualität von Oberflächenfarben ist die Auswahl und Vorbereitung des geeigneten Untergrundes sowie die Anwendung materialgerechter Verarbeitungstechniken. Bei der Ausschreibung von Maler- und Lackiererarbeiten sollten daher ausschließlich Fachfirmen zum Einsatz kommen, die über ausreichend qualifiziertes Personal verfügen und Planer wie Bauherren kompetent beraten können. Geringfügig höhere Ausgaben für die Qualität des Anstrichmittels und die Verarbeitung rentieren sich bereits nach kurzer Zeit, da das Erscheinungsbild sehr viel hochwertiger wirkt und weitaus länger erhalten bleibt. Bei einigen Anstrichmitteln wie mineralischen Farben, können Alterungsprozesse, die erst nach sehr langer Zeit eintreten, zudem sehr reizvoll wirken. Mineralische Pigmente bestehen aus Mischungen komplementärfarbener Kristalle, die mit bloßem Auge kaum erkennbar sind. Dennoch lässt sich eine einzigartige Farbtiefe und Brillanz wahrnehmen, da die unzähligen Kristallkörper vom Licht durchdrungen werden und die Oberflächenstruktur nach vielfachen Spiegelungen von innen heraus leuchten lassen. Die über Jahrhunderte lichtbeständige Qualität hochwertiger mineralischer Pigmente, lässt sich mit handelsüblichen synthetischen Farbstoffen nicht erreichen.

Wer leuchtende langlebige Weißtöne, tiefe schimmernde Schwarztöne oder geheimnisvoll farbige Grautöne erzielen möchte, die auch nach Jahren weder schmutzig, vergilbt oder ausgebleicht wirken, kommt an qualitativ hochwertigen Anstrichmitteln nicht vorbei. Im Bereich der Architekturfarbigkeit sollten deshalb durchweg hochwertige Anstrichmittel verwendet werden, da sich geringe Mehrinvestitionen beim Anstrichmittel über die Lebensdauer von Gebäuden auf verschiedene Weise rentieren. Höherwertige Anstrichmittel sehen nicht nur hochwertiger aus, sie sind auch lichtbeständiger und altern besser. Mineralische Anstrichmittel können hunderte Jahre überdauern und eine selbstverständlich wirkende Patina ausbilden, wenn sie fachgerecht auf entsprechenden Putzgründen angewendet werden!

6. Kriterien für den erfolgreichen Einsatz von Farbe am Bau:

1. Erarbeitung eines Farbkonzepts unter Berücksichtigung der ästhetischen, semantischen und technischen Funktionen von Farben im Kontext der Verwendungssituation am Einsatzort

2. Verbindliche Bestimmung aller verwendeten Farbtöne anhand eines Farbsystems oder einer Farbsammlung unter realen Lichtbedingungen am Einsatzort

3. Festlegung weiterer Qualitätskriterien wie Lichtbeständigkeit, Alterungsbeständigkeit, Glanzgrad, Mattheit, Transparenzgrad, Opazität, Oberflächenstruktur und Texturierung, Effekte (Metalleffekt, Glimmereffekt, Perlmutteffekt, Diamanteffekt, Neoneffekt etc.)

4. Verbindliche Bestimmung aller Materialien oder Anstrichmittel, der Zusammensetzung und Vorbereitung des Untergrundes sowie der angewendeten Verarbeitungstechniken unter Einbeziehung geltender Normen

5. Bemusterung

  • Anlegung großer Musterflächen von ca. 1qm im korrekten Winkel zur Lichtquelle
  • Prüfung bei Tageslicht zur Mittagszeit
  • Verwendung der geplanten Kunstlichtquellen
  • Beachtung des Größenkontrastes: Die Wirkung jeder Farbfläche verändert sich mit ihrer Ausdehnung im Gesichtsfeld
  • Komposition: Die Wirkung aller Farbflächen verändert sich mit der Proportion aller Teile zum Ganzen Gesichtseindruck
  • Simultankontrast: Die Wirkung einer Farbfläche verändert sich durch Farbtöne in der direkten Nachbarschaft und weiteren Umgebung (physiologischer Effekt der Kontrastverstärkung)
  • Sukzessivkontrast: Die Wirkung einer Farbfläche verändert sich durch Veränderungen, die durch Lichtwechsel oder Bewegungen des Betrachters hervorgerufen werden (physiologischer Effekt komplementärer Nachbilder)

6. Qualitätsüberwachung während des Herstellungsprozesses und Qualitätskontrolle bei der Abnahme sowie Archivierung der Angaben zum Farbton und Produkt (Produktdatenblätter, Fotodokumentation, etc.)

Link zur Ausgabe DETAIL 12/2016 – Farbe, Material, Oberfläche


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