
Abstract
Diese explorative Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Farbpräferenzen in Alltagskleidung und den Big-Five-Persönlichkeitsdimensionen. Ein neuartiges Testverfahren analysierte die Farbprofile von Kleidungsstücken von 29 Probanden, unabhängig von Marke, Schnitt oder Kontext, und verglich diese mit Selbst- und Fremdeinschätzungen. Die Ergebnisse zeigen eine Übereinstimmung von etwa 70 % zwischen Farbprofilen und Persönlichkeitsmerkmalen, insbesondere bei Extraversion, Verträglichkeit und Offenheit für Erfahrungen. Qualitative Interviews in Fällen mit Abweichungen deuten auf emotionale Schutzfunktionen, soziale Rollen oder idealisierte Selbstdarstellung hin. Die Ergebnisse legen nahe, dass Farbwahl ein sensibler, nonverbaler Ausdruck psychischer Dispositionen ist, mit Potenzial für Diagnostik, Beratung und weitere Forschung in der Farbpsychologie.
1. Einleitung
1.1 Hintergrund und Zielsetzung
Farben sind ein integraler Bestandteil menschlicher Wahrnehmung und Kommunikation, die sowohl emotionale als auch soziale Funktionen erfüllen (Elliot & Maier, 2014). In der Persönlichkeitspsychologie wird zunehmend anerkannt, dass nonverbale Signale, wie die Wahl von Kleidungsfarben, tiefere Einblicke in psychische Dispositionen bieten können als sprachbasierte Selbstberichte, die durch soziale Erwünschtheit oder mangelnde Selbstreflexion verzerrt sein können (Vazire, 2010). Während frühere Studien Farbpräferenzen oft isoliert oder im Kontext von Marketing und Ästhetik untersuchten (Allensbach, 2014; G.F. Smith, 2017), fehlt es an systematischen Analysen der Farbwahl in Alltagskleidung als langfristiger Ausdruck von Persönlichkeitsmerkmalen. Diese Studie zielt darauf ab, die Verbindung zwischen Farbprofilen von Kleiderschränken und den Big-Five-Persönlichkeitsdimensionen (Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus) zu untersuchen. Durch die Kombination von visueller Farbanalyse, Selbst- und Fremdeinschätzungen sowie qualitativen Interviews soll ein neuartiges diagnostisches Werkzeug entwickelt werden, das unbewusste Persönlichkeitsmuster und potenzielle Dissonanzen im Selbstkonzept sichtbar macht. Das Ziel ist es, die Farbwahl als zuverlässigen Indikator für psychologische Prozesse zu etablieren, mit Anwendungsmöglichkeiten in der Persönlichkeitsdiagnostik, Psychotherapie und interkulturellen Forschung.
1.2 Relevanz der Farbpsychologie für die Persönlichkeitsforschung
Die Farbpsychologie untersucht, wie Farben Wahrnehmung, Emotionen und Verhalten beeinflussen, und hat in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen (Elliot & Maier, 2014; Zhang & Chen, 2023). Farben wirken als universelles Kommunikationsmittel, das biologische Reaktionen (z. B. erhöhte Aufmerksamkeit bei Rot) und kulturelle Bedeutungen (z. B. Blau als Symbol für Vertrauen) integriert (Higham et al., 2013; Hofstede, 2001). In der Persönlichkeitsforschung bieten Farben einen einzigartigen Zugang zu impliziten psychologischen Prozessen, da sie unbewusste Präferenzen und emotionale Zustände reflektieren können, die sprachbasierte Methoden wie Fragebögen oft nicht erfassen (Maier et al., 2009). Besonders die Big-Five-Dimensionen, die stabile Persönlichkeitsmerkmale beschreiben (Costa & McCrae, 1992), können durch Farbwahl externalisiert werden, da diese Merkmale mit spezifischen emotionalen und sozialen Tendenzen verknüpft sind (DeYoung et al., 2007). Die vorliegende Studie nutzt diesen Ansatz, um die Farbwahl in Alltagskleidung als nonverbales „Tagebuch“ der Persönlichkeit zu interpretieren (Hebdige, 1979). Die Relevanz liegt in der Fähigkeit, unbewusste oder schwer artikulierbare Persönlichkeitsaspekte sichtbar zu machen, was insbesondere in therapeutischen Kontexten oder bei der Analyse von Selbst-Fremd-Diskrepanzen von Nutzen ist (Vazire, 2010).
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Farben als Kommunikationssystem
Farben wirken schneller als Worte und tragen biologische sowie kulturelle Bedeutungen (Elliot & Maier, 2014; Hofstede, 2001). Rot signalisiert Energie, Blau Vertrauen, Gelb Kreativität – Muster, die individuell variieren, aber stabile psychologische Effekte zeigen (Higham et al., 2013; Elliot et al., 2023). Die Vielfalt der Farbtöne entzieht sich sprachlicher Kategorisierung, da Begriffe wie „Rot“ oder „Blau“ tausende Nuancen nicht abbilden können.
2.2 Kleidung als visuelles Tagebuch
Kleidung kodiert Identität, Status und Emotionen (Hebdige, 1979). Farbwahl in Kleiderschränken spiegelt nicht nur Mode, sondern auch langfristige, oft unbewusste Persönlichkeitsmuster (Adam & Galinsky, 2012).
2.3 Selbst- vs. Fremdwahrnehmung
Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdbild sind ein bekanntes Phänomen in der Persönlichkeitsforschung (Vazire, 2010). Selbstberichte können durch soziale Erwünschtheit oder mangelnde Introspektion verzerrt sein, während Fremdeinschätzungen intuitive Signale wie Farben interpretieren. Diese Studie nutzt Farbwahl, um solche Diskrepanzen sichtbar zu machen und ihre psychologischen Ursachen zu analysieren.
3. Forschungsfragen und Hypothesen
Forschungsfragen
- Wie stark korrelieren Farbmuster in Alltagskleidung mit Big-Five-Persönlichkeitsmerkmalen?
- Wie hoch ist die Übereinstimmung zwischen farbbasierten Fremdeinschätzungen und Selbsteinschätzungen?
- Welche psychologischen oder sozialen Faktoren erklären Abweichungen zwischen Farbprofil und Selbstbild?
- Welche Rolle spielen situative Kontexte und emotionale Schutzstrategien bei der Farbwahl?
- Kann das Verfahren implizite Persönlichkeitsaspekte erfassen, die Fragebögen übersehen?
Verfasser Studie: Prof. Dr. Axel Buether
Institut für evidenzbasierte Farbpsychologie
Bergische Universität Wuppertal
Unterstützung: Leonie Weddeling, BA (Wissenschaftliche Hilfskraft)
Zitation: DOI.10.5281/zenodo.16846010
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