Titel der Studie:

„Beurteilung der psychologischen und medizinischen Wirkungen der Umweltfaktoren Farbe und Licht auf Patienten und Personal im Bereich der Intensivmedizin“

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Projektpartner:

Prof. Dr. Axel Buether
Bergische Universität Wuppertal
Fakultät Design und Kunst
Gaußstraße 20
42119 Wuppertal

Dr. Gabriele Wöbker
Chefärztin der Klinik für Intensivmedizin
HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal
Universität Witten/Herdecke

Ort und Umfang der Studie:

HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal – Klinik für Intensivmedizin
A) Operative Intensivstation Haus 2, 8 Patientenzimmer, 15 Betten
B) Konservative (internistisch/neurologische) Intensivstation, Haus 5, 10 Patientenzimmer, 20 Betten

Zeitraum der Untersuchung:

24 Monate (2017/18)

Forschungsfragen:

  1. Welchen Einfluss hat die Farb- und Lichtgestaltung von Intensivstationen auf das Wohlbefinden und den Gesundheitszustand der Patienten?
  2. Welchen Einfluss hat die Farb- und Lichtgestaltung von Intensivstationen auf die Arbeitsmotivation, die Haltung und das Wohlbefinden des medizinischen und pflegerischen Personals?
  3. Welchen Einfluss hat die Farb- und Lichtgestaltung von Intensivstationen auf den Medikamentenverbrauch?

Zusammenfassung der Ergebnisse:

Die im Rahmen qualitativer und quantitativer Forschung festgestellten Wirkungen der Farb- und Lichtgestaltung sind bei Patienten wie Personal signifikant. Die Patientenbefragungen wie die Personal-Interviews vor und nach den durchgeführten Renovierungsmaßnahmen belegen die Wirksamkeit der psychologischen Umweltfaktoren Farbe und Licht auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit des Menschen.
Die Wahrnehmung der Gestaltungsfaktoren stieg bei den Patienten um durchschnittlich 32,3%, beim Personal sogar um 40,8%. Die größte Steigerung zeigte sich bei den Patienten bei der Bewertung der Farbgestaltung (62,7%), dicht gefolgt vom Gefühl der Privatheit, dass sich um 55,2% verbesserte.
Beim Personal war die größte Steigerung von 75,6% ebenfalls bei der Farbgestaltung zu verzeichnen, gefolgt von der spürbaren Verbesserung der Kunstlichtqualität um 54,3%. Dieser Faktor ist umso bemerkenswerter, da aus Kostengründen auf neue Leuchten verzichtet wurde. Die vorhandenen Neon-Leuchtmittel wurden durch LED-Leuchtmittel mit dem Farbwiedergabeindex 90 ausgetauscht, bei dem die Raumfarben relativ natürlich erscheinen. Die Farbtemperatur des Lichts wurde in den Patientenzimmern und Aufenthaltsräumen des Personals Warmweiß (3.000 K) gehalten. In den Fluren und Funktionsräumen hingegen mit Kaltweiß bzw. Tageslichtweiß (4.000K). Der Kontrast erzeugt einen „Atmosphärenwechsel, der die Aufenthaltsräume spürbar wohnlicher, wärmer und geborgener wirken lässt. Zudem wurden Wahrnehmungen wie Entschleunigung und Ruhe geschildert.
Die Wirkungen der Raumfaktoren Farbe und Licht erstrecken sich nicht nur auf die Wahrnehmung des architektonischen Raums, sondern auch auf die der Fürsorge. Der von den Betroffenen als „Wohlfühlatmosphäre“ bezeichnete Raumeindruck der Aufenthaltsräume und Patientenzimmer sorgt für eine effektivere Pflege. Die Bewertung der Pflegemaßnahmen stieg bei den Patienten nach der Renovierung um 28%. Diese indirekten Effekte ließen sich auch beim Personal feststellen, bei dem die Zufriedenheit mit der Arbeit im Mittel um 12% stieg.
Der Verbrauch an Medikamenten konnte deutlich gesenkt werden. Bei den Benzodiazepinen wurden keine signifikanten Veränderungen festgestellt. Bei den Akut-Neuroleptika (Haloperidol, Risperidon, Chlorprothixen etc.) kam es zu deutlichen Veränderungen. Im Vergleichszeitraum sank der Verbrauch um durchschnittlich 30,1%.

Anlass und Ziele der Studie:

Anlass für die vorliegende Studie war die aktuelle wissenschaftliche Diskussion im Bereich der Intensivmedizin zu den negativen Effekten eines prolongierten Delirs auf die Morbidität und Mortalität von Patienten. Neben der Behandlung durch Pharmaka wird heute verstärkt nach weiteren Einflussgrößen gesucht, die das Wohlbefinden und die Gesundung von Patienten fördern und ein Delir verhindern können. In diesem Zusammenhang rückt auch die Wahrnehmung des architektonischen Raums in den Fokus, insbesondere die atmosphärischen Wirkungen klinischer Umgebungen. Bisher gibt es weltweit nur wenige Studien, die den Einfluss des architektonischen Raums auf das Wohlbefinden und den Gesundheitszustand des Menschen belegen. Die Forschungslücke gilt für den gesamten Bereich der Gesundheitsbauten. Im Bereich der Intensivmedizin wirkt sich dieser Sachverhalt besonders problematisch aus, da die klinische Umgebung negative Gefühle wie Angst, Panik, Desorientierung, Einsamkeit und Depression fördern kann. Diese Effekte können das Leben und die Gesundheit von Patienten gefährden. In diesem Zusammenhang müssen auch die Wirkungen architektonischen Raums auf das Wohlbefinden und die Arbeitszufriedenheit des medizinischen und pflegerischen Personal in den Blick genommen werden.

Rahmen der Studie:

Gelegenheit für diese Studie bot sich anlässlich bevorstehender Renovierungsmaßnahme auf den Stationen B3-EGI und B5-3I sowie B5-3IMC der Klinik für Intensivmedizin im HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal. Die Renovierungsmaßnahmen war auf den Neuanstrich von Wände, Decken und Türen begrenzt sowie den Austausch sämtlicher Leuchtmittel. Aus Kostengründen musste auf die Erneuerung der Böden, Einrichtung und Medizintechnik verzichtet werden. Die Bewertungen von Patienten und Personal wurden vor wie nach der Renovierung sowohl quantitativ mittels Fragebögen sowie qualitativ über Interviews erfasst. Um Verzerrungseffekte wie den Eindruck der Neuheit zu minimieren, wurde die Befragung erst 3 Monate nach dem Bezug der renovierten Räume durchgeführt. Der Medikamentenverbrauch wurde in einem repräsentativen Vergleichszeitraum von 9 Monaten jeweils vor und nach der Renovierung dokumentiert und ausgewertet. Auswertungen zum Krankheitsstand des Personals sowie Schwankungen beim Personalwechsel sollen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die gesamte Maßnahme wurde filmisch dokumentiert.

Abgrenzung:

In dieser Studie haben wir uns auf die Untersuchung der visuellen Einflussgrößen Farbe und Licht beschränkt. Andere Wahrnehmungsfaktoren wie die Akustik (Sprache, Geräusche), Geruch (Reinigungs- Desinfektionsmittel, Materialien) und Geschmack (Essen, Medikamente) wurden in dieser Studie nicht berücksichtigt, sollten jedoch Gegenstand weiterführender Untersuchungen sein. Den zweiten Schwerpunkt der Untersuchung bildeten die Auswirkungen der architektonischen Einflussgrößen Farbe und Licht auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit des medizinischen und pflegerischen Fachpersonals, deren Einfluss auf den gesundheitlichen Zustand der Patienten nicht zu vernachlässigen ist. Der akute Fachkräftemangel verleiht dieser Frage zusätzliche Relevanz. Die beiden grundlegenden Fragestellungen dieser Studie betreffen nicht nur den Bereich der Intensivmedizin, sondern den gesamten Gesundheitsbau.

Musterzimmer und Ausblick:

Das Musterzimmer wurde mit biodynamischen Licht ausgestattet, was eine Tag- Nachtsimulation wie die Anpassung der atmosphärischen Gegebenheiten ermöglicht und dem Delirzustand entgegenwirkt. Der Bodenbelag wurde durch ableitfähiges Linoleum in einem braunen Farbton ersetzt, der sich harmonisch in das Farbkonzept einfügt. Gefühle wie Sicherheit, Wärme und Geborgenheit wurden gezielt gestärkt. Die erneuerte Medizintechnik wirkt auf Grund der versteckten Verkabelung weniger bedrohlich. Die Drehung des Bettes ermöglicht den Patienten den direkten Ausblick aus dem Fenster, was nicht nur das Sonnenlicht, sondern auch die Farben des Himmels wie der Baumkronen ins Blickfeld rückt, dass zuvor auf die Belüftungselemente der Decke beschränkt war. Bei einer kompletten Neugestaltung der Station sind signifikante Steigerungen der Resultate zu erwarten, was weiter untersucht werden sollte.

Helios Klinikum Wuppertal, Klinikum für Intensivmedizin, Musterzimmer vor der Umgestaltung

Helios Klinikum Wuppertal, Klinikum für Intensivmedizin, Musterzimmer nach der Umgestaltung

Auswertung der Patientenbefragung

Durchschnittliche Gestaltungsbeurteilung und allgemeine Zufriedenheit der Patienten beider Stationen in Vorher-Nachher Vergleich (die Patienten beider Stationen wurde nur zu einem Teil erfasst, da nur die ansprechbaren Fälle befragt werden konnten = das Ergebnis ist bedingt repräsentativ, zeigt aber eine eindeutige Tendenz, weitere Studien sind erforderlich)

ALLGEMEINE ZUFRIEDENHEIT: (Bewertung vorher/nachher)

a) Zufriedenheit mit der pflegerischen Betreuung: Verbesserung 28,6% (1,8/1,4 )

b) Zufriedenheit mit der ärztlichen Betreuung: Konstanz 0% (1,8 /1,8)

ZUFRIEDENHEIT MIT DEM ZIMMER (GESTALTUNG): (Bewertung vorher/nachher)

c) Zufriedenheit mit dem Zimmer: Verbesserung 32% (3,3/2,5)

d) Einrichtung des Zimmers: Verbesserung 40% (4,2/3,0)

e) Ruhe im Zimmer: Verbesserung 4,4% (4,7 /4,5)

f) Farbigkeit des Zimmers: Verbesserung 62,7% (4,4/2,7)

g) Tageslicht im Zimmer (Atmosphäre am Tag): Verbesserung 23,1% (3,2/2,6)

h) Kunstlicht im Zimmer (Atmosphäre bei Raumlicht): Verbesserung 8,6% (3,8/3,5)

Privatheit im Zimmer (Gefühl der Geschütztheit und Geborgenheit): Verbesserung 55,2% (4,5/2,9)

Durchschnittliche Verbesserung der Raumfaktoren: 32,3%

Auswertung der Personalbefragung

Durchschnittliche Gestaltungsbeurteilung und allgemeine Zufriedenheit des medizinischen Personals beider Stationen in Vorher-Nachher Vergleich (das Personal beider Stationen wurde nahezu vollständig befragt = das Ergebnis ist repräsentativ)

ALLGEMEINE ZUFRIEDENHEIT: (Bewertung vorher/nachher)

a) Zufriedenheit mit der Arbeit (Tätigkeit): Verbesserung 12% (3,7/3,3)

b) Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber (Fürsorge, Wertschätzung): Verbesserung 3,7% (5,6/5,4)

ZUFRIEDENHEIT MIT DEM ARBEITSPLATZ (GESTALTUNG): (Bewertung vorher/nachher)

c) Gestaltung des Arbeitsplatzes: Verbesserung 32,5% (5,3/4,0)

d) Gestaltung des Pausenraums (Erholung / Regeneration): Verbesserung 35% (5,4/4,0)

e) Raumqualität der Patientenzimmer: Verbesserung 39% (5,7/4,1)

f) Raumqualität der Flure und Arbeitsbereiche: Verbesserung 30,2% (5,6/4,3)

g) Tageslichtqualität (Atmosphäre und Lichtverhältnisse am Tag): Verbesserung 33,3% (4,8/3,6)

h) Kunstlichtqualität (Atmosphäre bei Raumlicht): Verbesserung 54,3% (5,4/3,5)

i) Qualität der Raumfarbigkeit: Verbesserung 75,6% (5,8/3,3)

j) Identität (Sichtbarkeit des Qualitätsanspruchs der Klinik): Verbesserung 26,7% (5,7/4,5)

Durchschnittliche Verbesserung der Raumfaktoren: 40,8%

Auswertung der medizinischen Daten

Delir im Krankenhaus:

Die Fachgruppe Intensivmedizin der HELIOS Kliniken GmbH hat das Thema Delir 2016 und 2017 zum Fokusthema erhoben und eine AG Delir gegründet, die von der Chefärztin der Klinik für Intensivmedizin Frau Dr. Wöbker geleitet wird.

„Das Delir ist eine akute Störung der zerebralen Funktion. Während ein Drittel der internistischen Patienten älter als 70 Jahre ein Delir im Krankenhaus entwickeln, liegt die Inzidenz bei chirurgischen Patienten abhängig vom durchgeführten Eingriff zwischen 5,1 % nach kleineren Eingriffen und 52,2 % nach größeren Operationen. Bei Intensivpatienten tritt in 30–80 % der Fälle ein Delir auf – je nachdem, wie schwer die Erkrankung ist. Ein Delir ist mit einer Erhöhung der Letalität von 3,9 auf 22,9 %, einer bis zu zehn Tage längeren Aufenthaltsdauer im Krankenhaus und einem schlechteren Behandlungsergebnis verbunden. In einer Untersuchung bei Intensivpatienten konnte gezeigt werden, dass die 1-Jahres Überlebenswahrscheinlichkeit mit jedem Delirtag um circa 10 % sinkt. Ein Delir führt zu einer erhöhten poststationären Pflegebedürftigkeit und bei circa 25 % der Patienten stellen sich nach einem Delir kognitive Funktionsstörungen ein, die mit einer milden Alzheimer-Demenz vergleichbar sind.“

Fragestellung:

Welche Wirkungen haben Umweltfaktoren wie Farbe und Licht auf den Medikamentenverbrauch in der Intensivmedizin?

Forschungssetting:

Gemessen wurde der Verbrauch an Benzodiazepinen und Neuroleptika über zwei Zeitintervalle von jeweils 9 Monaten vor und nach der Farbgestaltung.

Auswertung:

Bei den Benzodiazepinen wurden keine signifikanten Veränderungen festgestellt. Bei den Neuroleptika kam es zu deutlichen Veränderungen. Im Vergleichszeitraum sank der Verbrauch um durchschnittlich 30,1%. In der Intermediate Care Station (IMC), wo Patienten mit bis zu 2 Tagen Liegedauer aufgenommen werden, sank der Verbrauch im Vergleichszeitraum um 51%. Auf der Operativen Intensivstation (B3-EGI) sank der Verbrauch im Vergleichszeitraum um 15,9%. In der Konservative (internistisch/neurologische) Intensivstation B5-3I (10 Patientenzimmer, 20 Betten) sank der Verbrauch im Vergleichszeitraum um 23,3%.

Interview Video „Farben steuern unseren Stoffwechsel“ – Prof. Dr. Axel Buether über Farben im Krankenhaus