Während der EM sieht man die Deutschlandfahne überall. Der Farbforscher Axel Buether erklärt die Bedeutung von Schwarz-Rot-Gold, die wechselhafte Beziehung der Deutschen zu ihrer Fahne und warum gerade heute ein gesunder Patriotismus wichtig ist.

Herr Buether, durch die Europameisterschaft sind wir tagtäglich von Fahnen und bunten Farben umgeben. Welche Wirkung haben sie auf uns?

Farben sind generell wichtig für uns; sie leiten uns durchs Leben. Sie sind entscheidende Indikatoren, um auf Eigenschaften von Menschen, Tieren, Dingen oder auch Umweltereignissen zu schließen. Die Welt mit Farben zu begreifen – ist etwas, was uns von Natur aus einfach fällt, was Kinder schon vor dem Spracherwerb erlernen, und es ist die letzte Eigenschaft, die vielen Demenzkranken zur Orientierung bleibt. Farben lassen auf ein Individuum schließen, aber auch auf eine Gruppierung. Tiere und Pflanzen lassen sich so einordnen, und indigene Völker nutzten schon früh verschiedene Farbtöne für ihre Kleidung und Zelte, um sich untereinander zu identifizieren und sich von anderen abzugrenzen. Ein Prinzip, das sich bis heute auch auf Staaten übertragen lässt. Fahnen schaffen Identität. Deshalb hat jedes Land auf der Welt eine eigene Nationalflagge.

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Warum ist es heute noch wichtig, dass jedes Land eine Nationalflagge hat?

Schauen Sie sich die USA an. Es ist ein tief gespaltenes Land, das historisch schon immer in zwei Lager zerfällt, was heute die Trump-Wähler und die Biden-Befürworter sind. Die Flagge ist ein wichtiges Nationalsymbol; sie ist für die Bevölkerung der kleinste gemeinsame Nenner. Auf diesen können sich alle Amerikanerinnen und Amerikaner einigen, egal welchen Geschlechts, welcher Sozialisation und politischer Gesinnung. Die Fahne zeigt nach außen, dass man Teil einer Gemeinschaft ist. Das ist wie beim Fußball.

Kann ein Event wie die Fußballeuropameisterschaft dazu beitragen, das Verhältnis zur deutschen Fahne zu verbessern?

Es wäre zumindest ein schöner Gedanke, dass sich jeder im Land von ihr repräsentiert fühlt. Aber natürlich gibt es auch in Deutschland viele Menschen, die aus anderen Ländern und Kulturen stammen und sich davon nicht ausgeschlossen oder sogar diskriminiert fühlen dürfen. Dennoch glaube ich, dass es unserem Land guttäte, die Deutungshoheit über das wichtigste nationale Symbol zu beanspruchen und stolz darauf sein, wofür unser Land heute in der Welt seht. Das funktioniert nicht, wenn man das Zeigen der Flagge vermeidet oder sich bei jeder Gelegenheit dafür schämt. Denn wenn Demokraten nicht deutlich Farbe bekennen, nicht in Einigkeit und Recht und Freiheit zusammenstehen, werden es undemokratische Kräfte tun.

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Das Interview führte Cathrin Wißmann