Parallel zur Entwicklung der Moderne hat sich eine aus vielen Gründen problematische Trennung des gestalterischen Berufsfeldes in einen planerisch-konzeptionellen und einen handwerklich-ausführenden Teil durchgesetzt. Daher können sich heute nur noch wenige Architekten und Designer bei ihrer Entwurfsarbeit auf eigene handwerkliche Erfahrungen stützen, was für die visuelle Gestaltung der materiellen Kultur unerlässlich ist. Farbe wird jedoch erst dann zu einem modernen Entwurfswerkzeug, wenn Planer über umfassende theoretische Kenntnisse verfügen, die sie vor dem Hintergrund eigener praktischer Erfahrungen anwenden können.
Während sich die Bauhauspädagogik im Bereich Farbe auf ein Fundament praktischer Fertigkeiten und theoretischer Kenntnisse gründen konnte, setzte sich mit der Hochschule für Gestaltung Ulm die Verschiebung der Gestalterausbildung auf wissenschaftliche, technologische und methodologische Strategien durch. Das neu geschaffene Fach »Visuelle Gestaltung« beinhaltete Film und Fotografie, Grafikdesign und Typografie und wurde in der Folgezeit als »Visuelle Kommunikation« auf Produktdesign, Architektur, Stadtplanung und Kunst ausgedehnt. Farbe bildete als Medium visueller Gestaltung neben Form und Schrift einen integralen Bestandteil visueller Kommunikation.
Das semiotisch fundierte Wissensgebiet hat sich bis heute nur im Bereich der visuellen Gestaltung von Bildmedien durchgesetzt, wovon zahlreiche anwendungspraktische Tätigkeiten profitieren. Professionelle Bildproduzenten aus den Bereichen Grafik, Illustration, Druck, Internet und Film kennen die formalen und inhaltlichen Wirkungen der Farben und können diese auf Grundlage anwendungspraktischer Kenntnisse zielgerichtet und effizient zur Vermittlung von Botschaften einsetzen. Studienrichtungen wie »Kommunikationsdesign« oder »Informationsdesign« bieten die noch immer ungenutzte Chance zur ganzheitlichen Auseinandersetzung mit visueller Gestaltung und Kommunikation in Bild, Plastik, Performance und Raum.
In Architektur und Stadtplanung erfolgte eine Verwissenschaftlichung der Ausbildung im Bereich der Technik, weshalb sich der Fächerkanon auf ingenieurwissenschaftliche Themen ausrichtet. Folgerichtig treten die kommunikativen Aspekte des gebauten Raums in den Hintergrund, weshalb sich Farbe nicht strategisch als Entwurfswerkzeug für die visuelle Vermittlung der inhaltlichen und funktionalen Bedeutungen einsetzen lässt. Wie die technologischen müssen auch die vielschichtigen kommunikativen Wirkungen der Farbe im gesamten Entwurfs-, Planungs- und Umsetzungsprozess mitgedacht werden.
Dafür muss Farbe zuerst einmal eine ganzheitliche Wahrnehmung ihrer Funktion als linien-, flächen-, körper- und raumbildendes Element, als emotionalisierendes Kommunikationsmedium, als identifikationsbildendes Orientierungssystem, als visuell-haptische Oberflächenqualität wie auch als atmosphärische Lichtqualität erfahren. Die kommunikationswissenschaftliche, kulturhistorische, naturwissenschaftliche, technologische, ästhetische und anwendungspraktische Auseinandersetzung mit Farbe sollte daher in allen Bildungseinrichtungen von Handwerk, Technik, Design, Kunst und Architektur erfolgen. Niemand kann sich der Auseinandersetzung mit Farbe entziehen, denn sinngemäß gilt das Axiom von Paul Watzlawick auch für das Medium der visuellen Gestaltung und Kommunikation: Man kann nicht nicht farbig gestalten.
663. Schleswig-Holsteinisches Baugespräch
Holstenhalle 2 der Hallenbetriebe Neumünster
Mittwoch, 10.02.2016, 10.00-16.00 Uhr
Weiterführende Literatur: FARBE — Fachbuch DETAIL Praxis 2014