In den vergangenen zehn Jahren ist die Intensivmedizin in Deutschland sehr viel moderner geworden, was dazu geführt hat, dass immer mehr Patienten überleben. Die Kehrseite der Medaille zeigt jedoch, dass ein Drittel der Überlebenden zum Teil ein Leben lang an kognitiven, physischen und psychischen Gebrechen leidet. Um das zu verhindern, haben die Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Helios Universitätsklinikum Wuppertal ihre Raumkonzepte für die Intensivstationen hinsichtlich der Licht- und Farbgestaltung neu konzipiert und die Projekte wissenschaftlich begleitet.
Die Ergebnisse geben nicht nur Aufschluss über die Wirkung von Licht und Farbe auf Patienten, sie werden auch für die Gestaltung zukünftiger Intensivstationen eine wichtige Rolle spielen.
Vier Intensivstationen in Wuppertal umgestaltet
In diesem Punkt ist das Helios Universitätsklinikum Wuppertal schon einen Schritt weiter: Die Mitarbeiter haben bereits im Jahr 2016 angefangen, vier komplette Intensivstationen so umzugestalten, dass das Delir nach Möglichkeit verhindert und das Wohlbefinden der Patienten gesteigert wird. Dafür hat die Klinik für Intensivmedizin unter Leitung von Dr. Gabriele Wöbker den Kontakt zum Zentralinstitut für Farbe in Wissenschaft und Gestaltung der Bergischen Universität Wuppertal gesucht: „Die Intensivstationen mussten im Rahmen üblicher Renovierungsarbeiten gestrichen werden, weshalb der Zeitpunkt günstig war, sich über neue Farbkonzepte Gedanken zu machen“, erklärt die Chefärztin der Klinik für Intensivmedizin. Prof. Dr. Axel Buether lehrt „Didaktik der visuellen Kommunikation“ und war von der Idee sofort begeistert: „Ich fand es spannend zu erforschen, welchen Einfluss der Faktor Raum auf den Gesundheitszustand des Patienten haben kann.“
Dafür haben Wöbker und Buether zuerst festgelegt, welche Wirkung welcher Raum auf Patienten und Mitarbeiter haben sollte. Denn beiden war wichtig, dass auch die Mitarbeiter von der Umgestaltung profitieren. Danach ging es an die Farbauswahl. Buether erläutert: „Menschen brauchen Farben, die eine Begrenzung schaffen und ihnen Halt geben. Gelb, Weiß und Hellblau erreichen das nicht, daher fühlt man sich in einem Raum, der in diesen Lichtfarben gestrichen ist, schnell verloren. Eine Farbe muss aber auch Licht reflektieren, um Enge entgegenzuwirken. Sandige Töne sind Körperfarben. Sie reflektieren genügend Licht und bieten dem Auge dennoch genügend Halt.“ Deshalb fiel die Wahl bei einer Station auf abgetönte erdige Grün-, Gelb-, Braun- und Rottöne, die den Patienten Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. Wichtig war dem Team, dass die Flure eine deutlich kühlere und hellere Farbstimmung und Beleuchtung bekommen, um den Unterschied zwischen einem ruhigen Patientenzimmer und dem hektischen Treiben auf den Fluren zu verdeutlichen. „Menschen verhalten sich automatisch leiser, wenn die Umgebung persönlicher und wohnlicher wirkt“, erklärt Buether. „Dem Personal ist es dagegen wichtig, nach einer hoch belasteten Arbeitssituation einen Atmosphärenwechsel zu erleben, um schneller abschalten zu können und die Erholungsphase zu verlängern.“ Deshalb wurden in den Personalräumen reinere, frische Farben wie Apfelgrün und helle Holztöne verwendet, die die Erholung fördern sollen.“
Anregende und beruhigende Farbgestaltung
Jede Station und jedes Zimmer sind anders gestaltet, angepasst an die jeweiligen Krankheitsbilder. „Depressive Patienten brauchen aufmunternde und stimulierende Farben, Suizidpatienten möchten wir dagegen durch Farben besänftigen.“, berichtet Chefärztin Wöbker. Um die Farbeffekte zu unterstützen, wurden auf allen Stationen Energiesparlampen gegen LED-Leuchten mit unterschiedlicher Farbtemperatur ausgetauscht. „LEDs haben einen höheren Farbwiedergabeindex und geben dadurch Raumfarben natürlicher wieder. Energiesparlampen lassen Farben dagegen unnatürlich aussehen, Gesichter wirken kälter und erschweren die soziale Kommunikation. Der Austausch der Lampen war daher eine wichtige Ergänzung zur Farbgestaltung der Wände“, so Buether. Auf den Fluren kamen Leuchtmittel zum Einsatz, die das Licht zur Mittagszeit nachempfinden, und in den Zimmern wurde warmweißes Licht eingebaut, um eine freundliche Atmosphäre zu schaffen. In einem Musterzimmer hat das Team sogar biodynamisches Licht der Firma Trilux einbauen lassen, das den Tag-Nacht-Rhythmus nachbildet. „In diesem Zimmer ist es noch ruhigerer und die Patienten finden ihre innere Uhr wieder“, ist Wöbker begeistert. Im Neubau würde sie diese Gestaltung gerne in jedem Intensivzimmer umsetzen.
Studienergebnisse belegen Wirksamkeit
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn der Konzern hat das Farb- und Lichtkonzept bereits in die Helios-Bauempfehlung übernommen. Ausschlaggebend dafür waren unter anderem die Ergebnisse der Studie, die über einen Zeitraum von neun Monaten jeweils vor und nach der Umgestaltung durchgeführt wurde. Nach dem Schulnotensystem sollten die Mitarbeiter zum Beispiel angegeben, wie zufrieden sie mit ihrem Arbeitsplatz sind. Vor der Umgestaltung wurde im Durchschnitt die Note 4,1 vergeben, danach die Note 2,0. Der Krankenstand ging zudem um 36 Prozent zurück und der Medikamentenverbrauch reduzierte sich auf allen umgestalteten Stationen insgesamt im Durchschnitt um 30 Prozent.
Buether wünscht sich, dass das Wissen um die Wirkung atmosphärischer Faktoren Eingang in die Architektur-Ausbildung findet. „Bisher spielt das leider noch keine Rolle. Angesichts der Studienergebnisse ist das allerdings fast schon fahrlässig.“
Gesamten Artikel von Sonja Buske lesen – healthcare-in-europe