Im Vergleich zu den Auswirkungen, welche die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz auf unsere Gehirnleistungen besitzt, lassen sich unsere genetischen Unterschiede nahezu vernachlässigen. Wir wählen „etwas“ aus und fügen „etwas“ hinzu. Sehen ist inhaltlich bezogenes Begreifen, ganz gleich ob sich dieser Vorgang intellektuell oder intuitiv ereignet. Was wir Sehen, haben wir Verstanden. Wie wir es verstanden haben oder ob wir damit richtig oder falsch liegen, erfahren wir über die Konsequenzen unserer Handlungen. Daher sollten wir unsere Beobachtungen auf anschauliche oder verbale Weise zur Sprache bringen. Sobald wir die Umwelt nicht als gegeben, sondern als offenen Lernraum betrachten, der uns den eigenen Wissenstand offenbart, müssen wir unsere gegenwärtige Sichtweise permanent hinterfragen.
Wo wir nichts Bedeutsames entdecken können, da verweilt unser Blick auch nicht lang. Daher können wir viele Inhalte und Handlungszusammenhänge nicht sehen, die Anderen klar vor Augen stehen. Wir können uns jedoch um Erkenntnis und Verständnis bemühen, indem wir uns durch die Verlängerung der Betrachtungsdauer weitere sinnvolle Zusammenhänge erschließen. Komplexe Texte werden ebenso oft erst nach mehrmaligem Lesen verständlich. Weitaus effizienter lernen wir dagegen in einer interessanten Lernumgebung, von der wir permanent angeregt werden. Hierdurch wird der individuell erreichte Entwicklungsstand unserer räumlich-visuellen Gehirnleistungen optimal gefordert. Wir lernen nur dann etwas, wenn es uns interessiert.
Im Prozess unserer Individualentwicklung müssen wir uns mit einem Kulturraum auseinandersetzen, dessen Inhalt und Perspektive sowohl formal wie inhaltlich von der Weltsicht der uns vorausgegangenen Generationen bestimmt wurde. Inwieweit wir diese materialisierten „Ansichten“ übernehmen, uns damit produktiv auseinandersetzen oder sie ablehnen, hängt maßgeblich davon ab, ob wir darin einen Zwang zur Übernahme von Konventionen oder ein Angebot zur Mitgestaltung sehen. Das Alter hingegen liefert uns keinen faktischen Grund, auf den Erwerb neuer Einsichten und Ansichten sowie die uns daraus erwachsende Möglichkeit zur Umgestaltung unseres Kulturraums zu verzichten.