Etwa 99,9% der räumlich-visuellen Informationen aus der Wechselbeziehung zur Umwelt werden im Hintergrund unseres Bewusstseins verarbeitet und im impliziten Gedächtnis gespeichert. Wir können diese Informationen daher nicht unmittelbar sehen, obgleich sie maßgeblich auf unser Erleben und Verhalten einwirken und unser Handeln zu weiten Teilen bestimmen. Sobald wir jedoch nach den Ursachen fragen, die unseren Interessen und Entscheidungen zu Grunde liegen, werden uns diese sichtbar. Das weitaus größte Lernpotential für die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz liegt daher in uns selbst verborgen. Indem wir uns aus dem Beobachtungsprozess heraus Fragen stellen und über den Denk- und Gestaltungsprozess nach Antworten suchen, können wir unser implizites Wissen explizieren. Hierdurch fördern wir aktiv unsere Gedächtnisleistungen.

Sobald wir die Augen öffnen, gebrauchen wir die anschauliche Zeichenstruktur der Umwelt für den Erkenntnis- und Verständigungs- sowie für den Problemlösungs- und Vermittlungsprozess. Dennoch wird uns dieser nonverbale Kommunikationsprozess nur selten bewusst. Wollen wir uns etwas lediglich „Empfundenes“ ins Bewusstsein bringen, müssen wir den Grund dafür suchen und diesen in anschaulicher oder verbaler Form versprachlichen. Das erreichen wir über eine Konkretion unseres Standpunktes und den Ausdruck der eigenen Sichtweise auf das Ereignis. Die tatsächlich erfahrene Komplexität unseres Empfindungsspektrums wird hierdurch auf das für uns Wesentliche reduziert. Unser anschauliches Wissen bildet sich aus der Konkretisierung des sinnlichen Erlebens.

Durch die Vergegenwärtigung der Gründe für intuitive Handlungen, spontane Entscheidungen, Gefühlsreaktionen oder kreative Prozesse, können wir uns das Informationspotential unseres Hintergrundbewusstseins nutzbar machen. Für nahezu jede Handlung lassen sich Motivationen finden und Entscheidungswege nachverfolgen. Hierdurch lernen wir, die Hintergründe für unser Erleben und Verhalten zu verstehen. Wenn wir dagegen nicht fragen oder gefragt werden, zu welchem Zweck sich etwas zeigt, wie es sich zeigt, wer oder was sich uns zeigt, wo oder wann es sich uns zeigt oder zu wem oder was es sich zeigt, bleiben diese Informationen für uns unsichtbar.

Publikation „Die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz“