Vortrag auf dem 6. Internationalen Symposium zur Architekturvermittlung | Bundeskongress der Kunstpädagogik an der Bauhaus Universität Weimar
Statement Vortrag:
1. These:
Die Digitalisierung ist ein zentrales Thema für den Kunstunterricht, weil die damit verknüpften Gestaltungsaufgaben ästhetische Bildung erfordern: Die Befähigung jedes Menschen zur Partizipation an modernen Gesellschaften gehört zu den zentralen Zielen der Bildung, weshalb wir uns heute ebenso verantwortungsvoll wie konstruktiv mit dem Thema „Digitalisierung“ auseinandersetzen müssen. Als Leiter des fachübergreifenden Forums „Digitalisierung und Mediendidaktik in der Lehrerbildung“ der Bergischen Universität Wuppertal [1] kann ich beobachten, welchen Einfluss die Wahl der Perspektive hat. Nach meiner Überzeugung kommt es nicht darauf an, die Anforderungen digitaler Unternehmen an schulische Bildung zu gestalten, denn Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Was wir vielmehr in den Blick nehmen müssen, ist die Gestaltung des Nutzens digitaler Technologien für Mensch und Gesellschaft. Smartphones, Kameras, Beamer, Tabletts, White-Boards und flächendeckende Internet-Anschlüsse sind daher nur sinnvoll für den Unterricht, wenn ihr Mehrwert fachlich wie pädagogisch erwiesen ist. Dem Schulfach Kunst kommt in diesem gesellschaftlichen Transformationsprozess eine Schlüsselstellung zu, der nicht nur informatische [2], sondern ebenso auch ästhetische Bildung erfordert. Digitale Technologien sind für den Kunstunterricht vor allem dort interessant, wo sie mediale Bedeutung entfalten und Interaktionen hervorrufen, die nach Gestaltung verlangen. Kunstunterricht kann dazu beitragen, Lernende wie Lehrende gleichermaßen zu einem schöpferisch-produktiven wie kritisch-reflektierten Umgang mit digitalen Medien zu befähigen. Die Gestaltung mit digitalen Medien ist nicht nur ein Thema für die Aktualisierung des Kunstunterrichts, sondern auch für den fachübergreifenden Projektunterricht. In meinem Vortrag werde ich kreative Studienprojekte zeigen, die in Kooperation mit Lehrenden und Studierenden aus Sprachen und Naturwissenschaften entstanden sind. Weiterhin werden wir uns auch ausgewählte Beiträge aus dem bisher umfangreichsten fächerübergreifenden Wettbewerb zum Thema „Bildung in der digitalen Welt“ anschauen, den ich mit dem Ziel ins Leben gerufen habe, eine kritisch-konstruktive Diskussion zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht zu fördern.
2. These:
Die Digitalisierung ist ein zentrales Thema für den Kunstunterricht, weil die Lösung vieler Problemstellungen Kreativität und Innovationen verlangt: Die gesellschaftliche Debatte zum Thema Digitalisierung wird heute von ähnlichen Ängsten und Ephorien begleitet, wie die Auseinandersetzung über die Risiken der Elektrifizierung am Ende des 19. Jahrhunderts. Die großen technologischen Revolutionen der Moderne wie die Mechanisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung sind dennoch unumkehrbar, da sie die Basis unserer Arbeits- und Lebenswelt transformieren. Der technologische Fortschritt erleichtert die Realisierung vieler grundlegender Bedürfnisse moderner Gesellschaften wie Arbeit, Wohlstand, Freizügigkeit, Kultur, Wissen, Gesundheit und Sicherheit. Der technologische Wandel hat und hatte stets auch viele ungewollte Nebenwirkungen. Der Preis des technologischen Fortschritts schließt sozialen Folgen wie die Entfremdung, Entwurzelung und Verunsicherung von Menschen und ökologischen Folgen wie Umweltzerstörung, Luftverschmutzung, Strahlungsbelastung und Ressourcenverbrauch ein. Globale Vernetzung, Künstliche Intelligenz und selbststeuernde Maschinen verändern die Rahmenbedingungen für die Schöpfung unserer materiellen und geistigen Kultur. Die Befähigung zum schöpferischen Umgang mit digitalen Technologien gilt vielen dabei als Indikator für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft und bildet daher eine zentrale Herausforderung für die Bildung.
Das Schulfach Kunst kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten, da Innovationen in allen Feldern der Digitalisierung kein Zufall sind, sondern auf schöpferischen Fähigkeiten und konkreten Medienkompetenzen basieren. Die methodische Förderung von Wegen zur kreativen Gestaltung[3] ist hierfür genauso wichtig wie die Vermittlung von Strategien zur Selbst- und Umweltwahrnehmung[4], die Befähigung zum anschaulichen Denken oder die Ausbildung einer kritisch-konstruktiven Haltung.
3. These:
Die Digitalisierung ist ein zentrales Thema für den Kunstunterricht, weil das Schulfach neue Impulse braucht: Mit der Digitalisierung moderner Gesellschaften sind eine Vielzahl neuer medialer Berufe entstanden, für die künstlerische Praktiken und Theorien von größter Bedeutung sind. Das gilt natürlich nur dann, wenn wir freie wie angewandte Künste gleichermaßen in den Blick nehmen. Studiengänge wie Druck- und Medientechnologie, Medieninformatik, Mobile Medien, Online-Medien-Management, Medienwirtschaft, Mediapublishing, Informationsdesign, Werbung und Marktkommunikation, Computer Science and Media, Crossmedia Publishing & Management, Medienmanagement oder Unternehmenskommunikation gründen sich auf grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten zur visuellen Kommunikation, auf ästhetische Wahrnehmung, bildnerische Vorstellungskraft und Darstellungsfertigkeiten in Schrift und Bild.
Das Schulfach Kunst muss heute zunehmend um seinen Stellenwert in den Bildungssystemen Europas kämpfen! Wir sprechen von einer Zeiterscheinung, die sich nicht nur in Deutschland, sondern in allen Mitgliedsstaaten der EU an fehlender Akzeptanz und schrumpfenden Bildungsanteilen bemerkbar macht.[5] Von Eltern bekommt man häufig Sätze wie diesen zu hören: „Wozu braucht mein Kind Kunst, es soll doch kein Maler werden!“ Mathematiker, Schriftsteller oder Physiker soll das Kind vermutlich auch nicht werden, doch ähnlich wie in Politik und Bildungswissenschaften schätzen auch die meisten Eltern den Nutzen dieser Schulfächer für die Allgemeinbildung deutlich höher ein. Diese Tatsache ist besonders problematisch für die Akzeptanz des Schulfaches Kunst, da sich Bewertungen der Eltern sehr schnell auf Wertschätzung, Engagement und Lernerfolg ihrer Kinder übertragen. Kunst wird heute in weiten Teilen der Gesellschaft als Freizeitbeschäftigung bürgerlicher Eliten betrachtet, was ein existenzielles Problem für das gleichnamige Schulfach schafft. Die bildende Funktion der visuellen Wahrnehmung im Alltag oder selbstinitiierte ästhetische Lernprozesse wie die Gestaltung der eigenen Identität in sozialen Netzwerken werden von Lehrern wie Schülern viel zu selten als künstlerische Prozesse betrachtet. Dabei wenden die meisten Schülerinnen und Schüler für diese informellen Lernprozesse weit mehr Zeit auf und arbeiten sehr viel engagierter, als bei vielen Aufgaben im Kunstunterricht.
Der Marktanteil der Kultur- und Kreativwirtschaft wächst stetig und liefert heute einen maßgeblichen Beitrag zur Gesamtwirtschaft moderner Gesellschaften. Die ständig wachsenden Felder der ‚Kultur- und Kreativwirtschaft‘ bilden zudem den am schnellsten wachsenden Sektor der Weltwirtschaft.[6] Mehr als 249.000 Unternehmen mit ca.1,59 Millionen beschäftigten Menschen setzen allein in Deutschland mehr als 145 Milliarden Euro mit der kreativen Gestaltung des Kulturraums um.[7] Die Bruttowertschöpfung der Kultur- und Kreativwirtschaft liegt damit heute schon über den Zahlen der Chemischen Industrie und der Energiewirtschaft. Sie nähert sich der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Maschinenbaus und der Automobilindustrie, die ihre herausragende Stellung am Weltmarkt nicht zuletzt der Kreativität ihrer Mitarbeiter verdanken. In die Zahlen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind die kreativen Köpfe der Industrie noch gar nicht eingerechnet, welche gemeinsam mit den wissenschaftlich-technologischen Fachkräften den globalen Erfolg moderner Produkte und Dienstleistungen ermöglichen. Kreativität kennzeichnet die Suche nach den Produkten, Produktionsmethoden, Gebäuden, Infrastrukturen, Dienstleistungen und Kommunikationstechniken der Zukunft, ein Wettbewerb, der weltweit über den Erfolg von Volkswirtschaften und den Wohlstand von Gesellschaften entscheidet. Die Kultur- und Kreativwirtschaft setzt sich aus verschiedenen Kernbereichen zusammen, deren Beschäftigungszahlen unterschiedlich starken Entwicklungsdynamiken unterliegen. Angeführt von der Software- und Games-Industrie, dem Pressemarkt, Werbemarkt und der Designwirtschaft folgen im Mittelfeld der Architekturmarkt, der Buchmarkt, die Filmwirtschaft und die Musikwirtschaft. Am Ende finden sich die Rundfunkwirtschaft, die Darstellenden Künste wie der Kunstmarkt. Natürlich sagt diese Statistik nichts über die Qualität der schöpferischen Leistungen aus. Doch wer kann heute bereits mit Sicherheit sagen, dass materielle Werke aus Malerei und Plastik für kommende Generationen größere kulturgeschichtliche Relevanz besitzen als digitale Werke wie Apps und Animationsfilme. Wir brauchen neue Lösungen für die ungelösten Probleme der Gegenwart, innovative Produkte und kreative Menschen in allen zukunftsrelevanten Berufsfeldern.
Das Bildungspotenzial des Faches Kunst gründet auf der Vielfalt ästhetischer Praktiken und deren Vernetzung mit allen Denk- und Handlungsfeldern moderner Gesellschaften. Alle Bereiche moderner Gesellschaften sind heute so komplex gestaltet, dass eine erfolgreiche und sinnerfüllte Teilhabe nur möglich ist, wenn das Individuum ein Grundverständnis der mannigfaltigen Codierungen des Kulturraums erworben hat. Daher wird es immer dringlicher, dass sich der Kunstunterricht mit den herausragenden Werken aller Gestaltungsdisziplinen, insbesondere mit deren ideengeschichtlichen, technologischen, sozialen, ökonomischen und kommunikativen Bedeutungen auseinandersetzt. Die Herausforderungen der Digitalisierung eröffnen dem Fach eine große Chance, da hiervon wichtige Impulse für die Erneuerung moderner Gesellschaften ausgehen, die von Schülerinnen und Schülern durch Methoden künstlerischer Praxis aufgespürt, beleuchtet, gestaltet und kritisch bewertet werden können.
[1] weitere Informationen zum Thema finden Sie auf: www.digitalisierung.education
[2] Siehe Symposium „Informatisches Lernen zum Verstehen der digitalen Medienwelt“, http://www.digitalisierung.education/informatisches-lernen-zum-verstehen-der-digitalen-medienwelt/
[3] Buether, Axel: Kunst als Dialogprozess. In: Martina Ide et al. (Hg). Aktuelle Positionen der Kunstdidaktik. kopaed München 2016
Buether, Axel: Wege zur kreativen Gestaltung. Methoden und Übungen. Leipzig 2013
[4] Buether, Axel: Die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz. Neurobiologische Grundlagen für die methodische Förderung der anschaulichen Wahrnehmung, Vorstellung und Darstellung im Gestaltungs- und Kommunikationsprozess. Schriftenreihe Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Bd. 23. Halle (Saale) 2010
[5] „In terms of time devoted to the arts, approximately half the European countries dedicate between 50 and 100 hours per year to the arts at primary level and between 25 and 75 hours per year at lower secondary level (see Chapter 2). At primary level, this is certainly less than the time allocated to the language of instruction, mathematics or sciences (natural and social sciences taken together), but the majority of countries devote more time to arts education than to teaching foreign languages or to physical education. However, at lower secondary level, the time allocated to arts subjects also decreases in comparison to the other subject areas. At this level, the majority of countries not only devote less time to arts education than to the language of instruction, mathematics, natural and social sciences (taken together or separately), and foreign languages, but also to physical education.“ Vgl. “Arts and Cultural Education at School in Europe“, Education, Audiovisual and Culture Executive Agency (EACEA P9 Eurydice) 2009, S.77. http://www.eurydice.org [24.02.2016].
[6] UNESCO/UNDP: Creative Economy Report 2013: www.unesco.org/new/en/culture/themes/creativity/creative-economy-report-2013-special-edition [18.12.2015].
[7] Monitoring zu ausgewählten wirtschaftlichen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2013, hg. v. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): https://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/ [18.12.2015].
Download Axel_Buether_Statement_Denkraum_Bauhaus_2019
Denkraum.Bauhaus
Welche Relevanz die Ideen die Bauhauses für eine zeitgemäße ästhetische Bildung an Hochschulen, Schulen und in außerschulischen kulturellen Bildungseinrichtungen haben und welche Rolle die Hochschulen, der Kunstunterricht wie außerschulische Bildungsinstitutionen als Begegnungsräume mit aktuellen Fragen und Problemlagen sowie ihrer diskursiven Verhandlung in der Kunst, in der Gestaltung und in der Architektur einnehmen, sind Fragen, die den Kongress Denkraum.Bauhaus bestimmen sollen. Es bedarf dazu einer kritischen Rückschau auf die politischen, gesellschaftlichen wie ökonomischen Kontexte ebenso wie einer Befragung der Wirkung des Bauhauses auf unser Verständnis von zeitgemäßer ästhetischer Bildung sowie einer kritischen Auseinandersetzung mit der aktuellen Bauhausrezeption an Hochschulen, Schulen und in außerschulischen kulturellen Bildungskontexten.
Das weltpolitische Geschehen provoziert Fragen an eine zeitgemäße ästhetische Bildung. Die zeitgenössische Kunst, Gestaltung und Architektur sind von diesen Prozessen unmittelbar betroffen, da sie Auswirkungen nicht nur auf Inhalte, Formen und Medien künstlerischer und gestalterischer Arbeit haben, sondern auch neue Kontexte erschließen helfen und damit Chancen auf eine funktionale Einbindung bildender Kunst und Gestaltung in gesellschaftlich relevante Fragestellungen eröffnen. Zugleich bedarf es aber der Befragung der aktuellen Problemstellungen und Herausforderungen, auf die wir in Bildungsprozessen im Allgemeinen, im Kunstunterricht und in außerschulischen Kontexten im Besonderen Antworten geben können und müssen. Ein Diskurs über den Beitrag der Kunsthochschulen, des Kunstunterrichts und der außerschulischen Bildungsinstitutionen für eine zeitgemäße ästhetische Bildung schließt daher zugleich die Frage nach der Bildungsverantwortung gegenüber zukünftigen Gesellschaftsgestaltenden ein. Diese zu verhandeln, ist Ziel des disziplinübergreifenden Diskurses, der im Rahmen des Bundeskongresses der Kunstpädagogik geführt werden soll.
Der Kongress Denkraum.Bauhaus initiiert einen Raum, der getragen wird durch den Diskurs zwischen den Expertisen, durch die Öffnung der Disziplinen und durch die Befragung eines zeitgemäßen Verständnisses von Kunst, Gestaltung und Architektur sowie deren Vermittlung.
Folgende Themenschwerpunkte stehen dabei im Mittelpunkt:
• Komplexität erfahren
• Komplexität gestalten
• Moderne Haltungen bilden
• Moderne Haltungen befragen
• Virtuelle Realitäten verantworten
> Hauptgebäude, Fak. A&U
• Öffentlichkeit und Gemeinschaft pflegen
• Material begegnen
• Räume deuten
• Räume und Resonanzen erzeugen