Abstract zum Vortrag „Raumdenken und Gehirn“
Die Umwelt ist uns nicht objektiv erkennbar, da wir von ihr lediglich eine lebenspraktische Vorstellung entwickeln können, die von der Leistungsgrenze und genetischen Disposition unseres Nervensystems begrenzt wird. Unsere kognitiven Leistungen entwickeln sich in Abhängigkeit von unseren anwendungsbezogenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Gebrauch der einzelnen Sinnessysteme im Erkenntnis- und Verständigungsprozess.
Unser Wissen gleicht nicht einer Ansammlung von Fakten, sondern einem räumlich organisierten Beschreibungsmodell, in dem wir alle Erfahrungen aus dem multisensuellen Erlebnis der Umwelt integrieren. Aus diesem Grund brauchen wir eine ganzheitliche Theorie zur Bildung unserer räumlich-visuellen Kompetenz, die erklärt, warum wir Materialien, Formen, Konstruktionen, Proportionen, Gerüche, Klänge, Emotionen, Verhaltensweisen und Handlungszusammenhänge sehen und mittels anschaulicher Kulturtechniken zur Sprache bringen können.
Die Farb- und Lichtstruktur der Umwelt erlaubt uns die Bildung eines anschaulichen Zeichensystems im Gehirn, welches analog zur Wortsprache funktioniert. Das Gedächtniskonstrukt des Anschauungsraums weist eine Bedeutungs- und Handlungsstruktur auf, anhand derer wir unsere Umwelt kontextualisieren und wahrnehmen, erkennen und gestalten können. Letztendlich können der Begrenztheit unseres Vorstellungsvermögens und Wissens nur insoweit entkommen, wie wir unsere kreativen, analytischen und praktischen Fähigkeiten für die Gestaltung von neuen Raumbeschreibungsmodellen gebrauchen. Raumdenken ist Gehirnentwicklung.