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Farbe ist das Medium unserer Lebenswirklichkeit. In welcher (Farb)Welt wollen wir leben?

Mit der wachsenden Flut bedrohlicher Meldungen, die uns in Corona-Zeiten vom Aufwachen bis zum Einschlafen verfolgen, wächst der Wunsch nach einer heilen Welt. Die Digitalisierung ändert die Formen unserer Kommunikation, und damit auch die Wahrnehmung unserer Lebenswirklichkeit. Der unaufhörliche Bilderstrom, der uns über Smartphones, Smart-TVs, Notebooks, Tablets, Desktop-PCs und Spielkonsolen tagtäglich erreicht, transformiert mit dem Bewusstsein auch unser Sein. Nichts bleibt wie es war und ist. Alles ist im Fluss. Farben sind der Stoff unserer inneren und äußeren Bilder, unserer Wahrnehmungen und Vorstellungen, die auch den Worten unserer Sprache Bedeutung verleihen. Die Epoche der Digitalisierung hat längst begonnen, doch nie waren die Auswirkungen der gesellschaftlichen Transformation so sichtbar und spürbar, wie in Zeiten der der Corona-Pandemie. Themen wie „Smart Cities“, „Smart Homes“, „Artificial Intelligence“, „New Work“ und „New Learning“ sind für immer mehr Menschen nicht mehr nur Theorie, sondern gelebter Alltag. In welcher Welt wollen wir leben, in welche Zukunft wünschen wir uns hinein?

69 Milliarden Farben im Smart-TV. Verschwendung oder Ausdruck unserer Sehnsucht nach Authentizität in der Simulation?

Der weltweite Medienkonsum beträgt derzeit über 8 Stunden am Tag. Unser Leben erscheint als endlose Folge von Bildwelten, zwischen denen wir per „Touch“ in immer kürzeren Intervallen wechseln. Bilder bestehen aus Farben, vielen Farben, 16 Millionen Farben bei herkömmlichen Fernsehern und Computermonitoren (8bit SDR), 1 Milliarde Farben bei modernen 4K-Geräten (10bit HDR), 69 Milliarden bei Dolby Vision (12bit HDR). Sieht man das, möchte man fragen? Nichts wirkt so überzeugend, wie ein Selbstversuch. Schauen Sie sich die Wirkung der Farbexplosion am besten selber an, denn es ist sehr wahrscheinlich sowieso nur eine Frage der Zeit, bis sich die neuen Farbstandards bei Smart-TVs durchgesetzt haben. Bei neuen MacOs- und Android-Fotos ist HDR schon heute Standard.

Durch die höhere Farbtiefe wirken Bilder nicht nur schärfer, detailreicher und räumlicher, sondern auch echter, lebendiger und emotionaler. Das schafft Authentizität, und auf die kommt es uns an! Deshalb werden sich diese technologischen Standards durchsetzen, selbst wenn Datenvolumen und Energieverbrauch mit jedem Bit Farbtiefe exponentiell wachsen. Warum streben wir nach Authentizität im Digitalen? Ganz einfach, schauen Sie sich das Meer durch eine HDR-fähige 4K-VR-Brille an und vergleichen Sie den Eindruck mit dem Original? Nichts berührt, ergreift und bewegt uns mehr als die Realität! Diese Einsicht stand uns noch nie so deutlich vor Augen wie heute, wo unser Leben mehr und mehr zur Simulation gerät. Farben müssen heute daher vor allem authentisch sein, zum Charakter von Menschen, zu Eigenschaften und Verwendungszweck von Produkten wie zum Inhalt unserer Aussagen passen.

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Mit der Freiheit stirbt die Sicherheit, das Grundvertrauen in die Werte und Stabilität moderner Gesellschaften. Welche Farben erfüllen unser Bedürfnis nach einer schönen heilen Welt?

Wir nutzen weit mehr Farben als je zuvor in der Menschheitsgeschichte, nicht nur in der digitalen, sondern gleichermaßen auch in der analogen Welt. Unsere Farbkultur wird nicht nur reicher, sondern auch diverser. Weltweite Migrationsbewegungen sorgen dafür, dass sich Menschen unterschiedlicher Kulturen gegenseitig wahrnehmen und begegnen. Noch mehr Austausch ereignet sich im Internet. Die Globalisierung sorgt für ein stetig wachsendes Angebot an Produkten und Dienstleistungen, dass sich zugleich auch immer weiter diversifiziert. Wo eine unüberschaubare Vielfalt herrscht, steigt das Bedürfnis nach Wiederkennbarkeit, nach einer unverwechselbaren Identität. Farben schaffen Identität und bieten Orientierung in komplexen Umweltsituationen, denn genau das ist ihre evolutionäre Funktion. Die Corporate Identity von Unternehmen, Produkten und Dienstleistungen wird daher immer häufiger zu einer Color Identity, auf die wir andere formale Merkmale wie Gestalt und Typographie beziehen.

Der Wandel unzähliger regionaler Farbkulturen zu einer globalen Farbkultur zeigt, wie stark wir bereits heute mit der Welt vernetzt sind. Wir nehmen eine höhere Komplexität unserer Lebenswelt wahr, selbst wenn wir nur virtuell auf Reisen gehen. Wir betrachten unsere Welt nicht mehr nur in regionalen oder nationalen Grenzen, sondern als globales Phänomen. Das Bewusstsein für den weltweiten Klimawandel, Bedrohungen durch Seuchen, Kriege und knappe Ressourcen ist allgegenwärtig. Kinder verweigern den Schulbesuch, um eine Welt zu retten, deren Verletzlichkeit ihnen ganz plötzlich völlig real erscheint. Farben sind stets Ausdruck der Themen, die Menschen und Gesellschaften einer Zeitepoche am stärksten bewegen. Die Corona-Pandemie erzeugt nicht nur Ängste und Entbehrungen, sondern sie sorgt auch dafür, dass wir die Zeichen der Globalisierung und Digitalisierung weit stärker wahrnehmen als je zuvor.

Die Trendfarben des Jahres 2021:

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Greige – minimalistisch, asketisch und besorgt

Warme Grautöne, Mischungen zwischen Grau und Beige, gewinnen zunehmend an Bedeutung, in Mode, Produktdesign wie der Raumgestaltung. Greige ist eine nachhaltige Farbe, die unabhängig von kurzeitigen Modetrends und flexibel kombinierbar eingesetzt werden kann. Greige wertet jede Buntfarbe auf und ist daher auch eine wunderbare Basisfarbe für starke Akzente. Unbunte Grautöne wie Aschgrau, dem jede Spur von Leben fehlt, wirken hingegen trist und fahl. Wer Greige wählt, wendet sich nicht vom Leben ab, sondern bleibt trotz seiner Einstellung reiselustig, kontaktfreudig, gesundheitsbewusst und gut vernetzt. Ohne buntfarbigen Akzent wirkt Greige wie ein Akt der Selbstbeschränkung, des Minimalismus, der weniger umweltbewussten Zeitgenoss:innen gewollt oder ungewollt als Mahnung dienen kann.

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Jutebraun – verlässlich, behaglich und bescheiden

Authentische Brauntöne aus dem Spektrum der Naturfarben sind besonders interessant für gesundheitsbewusste Menschen, die einen Gegenpol zum Stress und der Schnelllebigkeit ihres Alltags suchen, die entspannende körperliche Betätigungen wie Yoga, gesunde abwechslungsreiche Ernährung und ausgedehnte Spaziergänge in freier Natur schätzen. Wir nehmen Farben mit allen Sinnen wahr. Braun ist eine sinnlich anregende Farbe. Die Brauntöne von Naturmaterialien wie Jute, Hanf, Wolle, Fell oder Leder wecken angenehme Berührungserlebnisse, ebenso wie braune Sand-, Lehm- und Erdtöne. Das Spektrum brauner Gewürzfarben wie Curry, Safran, Zimt und Kakao regt hingegen unsere Geschmacksnerven an. Farben sind Geschmackssache, und da kommt es auf die richtigen Assoziationen an. Farben aus dem reichen Spektrum natürlicher Brauntöne sorgen für Authentizität bei Themen wie Wohlfühlen, Gesundheit und Umweltschutz.

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Lichtgelb – optimistisch, vital und lebensfreudig

Wenn die Corona-Pandemie ihre Bedrohlichkeit verliert und die Einschränkungen fallen, möchten wir das Leben wieder in vollen Zügen genießen, jetzt noch intensiver und bewusster als je zuvor. Viele Menschen hoffen darauf, dass der Zeitpunkt bereits im Frühjahr 2021 erreicht ist, wenn das Licht und damit auch das Immunsystem wieder stärker wird. Corona-Sorgen hin oder her, das alljährliche Farbspektakel wird auch in diesem Jahr zuverlässig für Glücksgefühle sorgen. Die Corona-Pandemie hat uns die Augen geöffnet für die Schönheit der Welt, die Sinnesfreuden und die Vergänglichkeit unseres Seins. Gelb ist die Symbolfarbe der Lebensfreude, die uns Kraft verleiht und Optimismus ausstrahlt. Umso reiner, heller und leuchtender, je leichter, fröhlicher und vitaler fühlen wir uns damit.

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Lindgrün – lebendig, erholsam und hoffnungsfroh

Grün ist das Mittlere, die Farbe des Ausgleichs und der Balance, die globale Symbolfarbe für Themen wie Gesundheit und Umweltschutz. In Zeiten der Corona-Pandemie, wo sich Menschen tagtäglich um ihre Gesundheit sorgen und zugleich immer mehr Zeit in der Natur verbringen, wird der Erhalt der „grünen Lunge“ zu einer Frage des Überlebens. Grün ist unsere angestammte Farbheimat, deren einzigartige Schönheit uns erst durch den Verlust schmerzlich bewusst wird. Wo wir nur können, holen wir uns diese wohltuende Atmosphäre in den Innenraum, durch Ausblicke ins „Grüne“ wie Gärten, Wälder und Parks. Wo das unmöglich ist, behelfen wir uns mit grünen Home-Textilien, Möbeln, Accessoires und Wandfarben. Pflanzliche Grüntöne sind die Klassiker unter den Raumfarben, nur zu grell dürfen sie nicht sein, denn das kann giftig und abschreckend wirken. Am natürlichsten wirken mineralische Farben, auch und gerade in Abtönungen mit Grau. Dunkle natürliche Grüntöne wie Tannengrün oder Piniengrün wirken beruhigend auf gestresste Nerven, hellere wie Lindgrün hingegen jung, vital und aktivierend.

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Gletschermilch – sehnsuchtsvoll, befreiend und vertrauensbildend

Die frische türkisblaue Farbe großer Gletscher wird immer mehr zur Symbolfarbe für den Klimawandel. Meldungen über die Abschmelzung großer Eismassen verbreiten Angst und Schrecken, was die Farbe für uns noch weit kostbarer macht. Blau spiegelt unsere Sehnsucht nach Weite und Meer, unseren Drang nach grenzenloser Freiheit, Eigenschaften, die uns ein leuchtendblauer Himmel signalisiert. Reine hochgesättigte glänzende Blautöne erzeugen eine kühle und frische Atmosphäre, ein Effekt, der sich durch Kombinationen mit Weiß nochmals verstärken lässt. Das trübe türkisfarbene Abflusswasser der Gletscher nennen man „Gletschermilch“. Wer einen wirksamen Farbton für sein Home-Office sucht, der die Aufmerksamkeit und Wachheit ebenso fördert wie die gedankliche Konzentration, und dennoch freundlich und wohnlich wirkt, dem sei dieser vergraute helle Türkiston ans Herz gelegt. Mit einem deutlichen Atmosphärenwechsel zum Wohn-, Koch-, und Schlafbereich der Wohnung lassen sich zudem Überarbeitungssymptome wie Burn-Outs auf natürliche Weise reduzieren. Wer es hingegen kühler, reiner und frischer mag, ob bei seiner Kleidung oder im Raum, kann ganz auf den Grauanteil verzichten, denn sobald sich die Partikel der „Gletschermilch“ abgesetzt haben, erscheinen große Wasserflächen wie Bergseen oder das Meer in einem strahlend frischen und eiskalten Türkisblau.

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Distelviolett – zart, sinnlich und spirituell

Das reiche Spektrum der violetten Pflanzenfarben, die zart und pastellig, aber auch kraftvoll und prächtig wirken können, sorgt für Vitalität und Lebenslust. Denken Sie an die vielen schmackhaften und gesunden violetten Beerensorten, Früchte und Gemüse, von denen wir tagtäglich profitieren! Wenn Sie schöne und inspirierende Violetttöne suchen, dann schauen Sie sich auch die Blüten von Veilchen, Lavendel, Amaryllis, Anemone, Tulpen, Glockenblumen, Storchschnabel, Lilien, Tollkirschen, Eisenhut, Disteln und Orchideen an. Die bezaubernden Blütenpflanzen nutzen ihre prächtige Farbpalette ebenso als Lockmittel wie ihren unwiderstehlichen opulenten Duft. Nicht nur Insekten, sondern auch wir fühlen uns davon magisch angezogen. Pastellige Violetttöne eignen sich hervorragend für die Raumgestaltung, reine Beerentöne hingegen für die Akzentsetzung bei Einzelflächen, Möbeln und Accessoires. Über unsere Kleidungsfarben können wir auch ganz direkt von der Vitalität, Sinnlichkeit und Lebensfreude des violetten Spektrums profitieren. Violett steigert die Attraktivität. Das gilt nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer, die in violetter Kleidung deutlich weicher, offener und smarter wirken.

Das Geheimnis spannender Farbwirkungen liegt in der Farbkomposition

Wer aufregende Farbkombinationen sucht, die dennoch authentisch und natürlich wirken, kann das minimalistische Greige oder das bescheidene Jutebraun ganz einfach mit leuchtenden reinen Farben wie Lichtgelb, Lindgrün oder Gletscherblau kombinieren. Wichtig ist der Gesamteindruck, die Farbkomposition. Greige und Jutebraun, dass exemplarisch für natürliche anregende Brauntöne steht, eigenen sich sehr gut als Basisfarben, die in der Komposition den größten Flächenanteil einnehmen. Leuchtende Buntfarben hingegen sind Akzentfarben, die stets sparsam eingesetzt werden sollten, da sie so am besten zur Wirkung kommen. In der Farbgestaltung gibt es viele Parallelen zum Kochen. Jedes Farbkonzept braucht ein Grundthema, eine Basis, wie ein gutes Essen. Alle weiteren Farben sollten Sie so auswählen, dass sie das Grundthema stärken. Greige oder Jutebraun eignen sich hervorragend als Basisfarben für ein Outfit oder einen Wohnraum. Ihre ganze Schönheit, Schlichtheit und Natürlichkeit entfalten diese Farben jedoch erst dann, wenn sie diese mit einer Akzentfarbe wie Lichtgelb, Lindgrün oder Gletscherblau kombinieren. Eine gelungene Farbkomposition haben sie dann, wenn sich alle Farben wechselseitig aufwerten.

Seminarbild aus dem Buch „Wege zur kreativen Gestaltung“ Axel Buether