Foto Axel Buether – Nam June Paik – The First 21st Century Painting
Die Retrospektive der 65. Internationalen Filmfestspiele Berlin bietet ein opulentes Farbspektakel. Sie feiert den 100. Geburtstag eines Farbfilm-Verfahrens, das weit über Hollywood hinaus zu einem Mythos wurde: Color by Technicolor. Die Retrospektive präsentiert rund 30 spektakuläre, zum Teil aufwendig restaurierte Technicolor-Filme aus den Anfängen bis 1953, darunter sechs britische Filme.
Berlinale Retrospektive 2015: „Glorious Technicolor.“
Auch Kaufkraft und Wert sei schon von Anfang an direkt über Farbe vermittelt worden – nicht etwa als Symbol. Es war zunächst die Farbe selbst, die so teuer war: Purpurrot zum Beispiel, das Sekret einer Meeresschnecke. Purpur war deshalb lange nur Würdenträgern vorbehalten, weshalb ein direkter Weg von dem Farbsekret einer Meeresschneckenart über die Mächtigen in Rom zum Roten Teppich der Berlinale führt.
Auch Blau, hergestellt aus zerstoßenem Lapislazuli, verströmte noch lange, quasi aus Gewohnheit, seinen kulturell geprägten Wert. Da war es schon längst durch günstiges Indigo ersetzt.
Blau, sagt Buether, sei ideal, um für Vertrauen zu werben, es steht für Stabilität, denn Blau verbinden wir instinktiv mit den Dingen, die wir nicht verändern können, denen wir deshalb eine ewige Wahrheit attestieren: Meer und Himmel, Tagesschau und Deutsche Bank.
Man könnte meinen, erst mit der massentauglichen Wiedergabetechnik Technicolor habe die Farbe vor 100 Jahren laufen gelernt. Aber weit gefehlt. In der zweiten Hälte des 19. Jahrhunderts, als man auf einmal Farben günstig in Tuben füllen konnte, rannten die Maler mit ihnen sogleich nach draußen. Prompt entstand der Impressionismus: Das Licht und die Farben selbst wurden ihr Thema. Wie der gleiche Gegenstand zu jeder Tageszeit in anderem Licht und damit in einer anderen Farbe erscheint … Die faszinierten Maler versuchten mit Lichtpunkten, die Farben zu fassen. Der Pointilismus entstand. Die Cote d’Azur, die Bretagne wurden Malernester, in denen die Branche gemeinsam der Farbe huldigte.
Die Farbe der Menschheit? Grau
Und trotzdem, sagt Buether, sei die Farbe der menschlichen Kultur auf diesem Planeten ausgerechnet: Grau.
Fast 70 Prozent aller auf der Erde durch den Menschen hergestellten Farben seien nämlich schwarze und titanweiße Pigmente, die sich über die Jahre immer mehr auf der Erdoberfläche verteilen. Satellitenbilder zeigten, wie insgesamt eine Vergrauung der Erde durch den Menschen stattfindet: durch die Versiegelung von Flächen, die Papiere, Baumaterial. Die Pigmente diffundierten überall hin, ihre Zunahme lasse sich selbst in den Körpern von Lebewesen nachweisen. Vielleicht ist das die wahre Grausamkeit des Menschen in Bezug auf seinen Planeten.
Buether hat jetzt in Gedanken einmal eine farbige Panorama-Kinoleinwand um den ganzen Globus gespannt. Er hat herein- und herausgezoomt. Die Welt ist ein Kessel Buntes. Doch bevor allen schwindelig wird, wird es schlagartig wieder blasser.
Denn schon ist Buether bei der Moderne angelangt: Die Moderne habe ja in ihrem Prinzip des Purismus die Farbe als Ornament verbannt. „Anstriche gingen gar nicht – aber Form und Farbe gehörten immer zusammen, bis die Moderne die Farbe abgespalten hat.“ Diese ästhetische Strömung habe einen großen Teil der Bedeutungen in der Welt negiert. Die Moderne macht Buether deshalb für die Verkümmerung einer Kulturtechnik verantwortlich. Der Purismus der Moderne bezog sich ja auf die Antike, sagt Buether, und die hielt man damals für weiß. „Aber Sie kennen es ja: Die Tempel waren in Wahrheit alle farbig!“
Was ist nun im Film, mit der Farbe im Film? Weil in dieser künstlichen Welt nichts automatisch gegeben ist, muss alles eine Entscheidung sein. Im Film werde Farbe deshalb bewusst eingesetzt, sagt Buether. Seit mit Technicolor der Farbfilm flächendeckend eingeführt wurde, ist Farbe zur Regieentscheidung geworden: inhaltliche Bindungen, Anschlüsse, Schnitte – Farbe ist immer ein Hilfsmittel für die Orientierung. Abstrakte Handlungen und blitzschnelle Schnitte seien nur mit Hilfe von Farbführung zu verstehen.
Im Film ist Farbe ein dramaturgisches Mittel
Filme würden heute sogar überhell gedreht, um später bei der Bearbeitung noch eine Regie-Entscheidung zu haben: Mit einer Nachbearbeitung, einer Farbkorrektur namens „Color-Grading“, werde Farbe ein dramaturgisches Mittel.
Ab heute, während der Berlinale, wird es wieder tausendfach zu sehen sein: Farbe wird wie eine Geste benutzt zur Vorwegnahme von Handlungen. Wiederkehrende Symbole in Rot. In Blau: Offenbarungen. Blau ist die Stunde der Wahrheit. „Achten Sie mal drauf.“
Wenn heute die Filmfestspiele starten, ist die Regie deshalb nicht auf die Leinwand beschränkt. Das ganze Orchester aus körperlicher Reaktion und sozialer Orientierung spielt auf. In der Hauptrolle: die Farben. Kleider reflektieren, im Gespräch erröten die Menschen, das Grau Berlins macht nur Kulisse und aus dem Purpur der Mächtigen ist längst die Farbe des Roten Teppichs geworden.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.
Link Artikel Tagesspiegel zur Berlinale – 100 Jahre Technicolor