Senioren – Bild Seminar Buether (Kunsthochschule Halle)

Herr Prof. Buether, Sie haben im ersten Teil unseres Gesprächs begonnen, über das Thema Farbheimat zu sprechen. Bleibt denn unsere Farbherkunft ein Leben lang bestehen?

Axel Buether: Sie bleibt bestehen, wird aber angereichert dank der Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen – mit anderen Menschen oder Regionen. Mit ihnen transformiert sich die Wahrnehmung der Farbe. Wer viel in die Ferne reist oder sich lange Zeit in fremden Ländern aufhält, wird neue Farbkulturen für sich entdecken und wertschätzen. Aber die Kindheitsfarben bleiben immer besondere Farben. Wer sich selber anderen Eindrücken öffnet, wird auch offener für neue Farbklänge. Wir sind auch in der Lage, uns farblich bereichern zu lassen durch andere Kulturen, unsere Interessen, Reisen, auch von Zeitschriften, Büchern oder Filmen. So nehmen wir vielleicht provencalische, indische oder toskanische Farbwelten auf. Diese Veränderungen passieren die ganze Zeit – und das sollte auch so sein.

Neben regional bedingten Farbpräferenzen sprechen Sie auch von zeitlich bedingten?

Axel Buether: Jede Zeit hat ihren eigenen Farben-Kanon. Wir verbinden beispielsweise mit den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren ganz bestimmte Farben, die mit Moden, Trends etc. in Zusammenhang stehen. Heute ist mehr Schwung in dieser Entwicklung. Das Marketing wirkt als Beschleuniger. Farbkollektionen und Moden wechseln einander schneller ab. Auch hier zeigt sich die herausragende Bedeutung der Farbe: 70 bis 80 Prozent seiner Energie verwendet eine Modemarke auf seine Farbauswahl. Die Produktformen bleiben vergleichsweise stabiler als die Farben. Das entspricht auch unserem Verhalten als Konsumenten: Menschen kaufen sich etwas Neues, weil sie den Eindruck haben,
dass die alten Farben nicht mehr passen – nicht so sehr, weil die alten Sachen abgewetzt sind. Farben sind eine riesige Triebkraft für Veränderung – auch bei teuren Gebrauchsgegenständen wie Autos und Wohnwelten trifft das heute zu.

Das heißt wohl, dass auch im Seniorenwohnbereich ein Farbwechsel hin und wieder mal guttut?

Axel Buether: Generell empfiehlt es sich aus diesen Erwägungen heraus, durchaus öfter zu streichen, als es nötig wäre. Zum Farbkonzept gehören übrigens nicht nur Decke und Wand, sondern auch Möbel, Böden, Türen, Fenster und das Licht. Im Pflege- und Seniorenheim ist die farbliche Erneuerung zumindest für den Empfangsbereich sehr interessant, den auch das allgemeine Publikum, die Angehörigen und Mitarbeiter nutzen. An dieser Schnittstelle zur Gesamtgesellschaft, aus der Trends und Moden ja kommen, zeigt sich besonders, dass man der Mode nicht ausweichen kann: Das zu versuchen ist ein Fehler – ein neutral gehaltener Empfangsbereich wirkt nämlich eher steril. Umgekehrt wirkt positiv, wer mit der Zeit geht. Das Streben nach gestalterischer Zeitlosigkeit wirkt distanziert und unpersönlich wie jemand, der sich entziehen will. Mein Rat ist, verstehen zu lernen, dass man ohnehin immer eingeordnet wird: Es gibt im Grunde keine neutrale Farbgestaltung. Was der Philosoph Paul Watzlawick für die Kommunikation im Allgemeinen sagt, trifft auch für die Farbgestaltung zu: Alles, was wir sehen, besteht aus Farben. „Wir können daher nicht nicht mit Farben kommunizieren.

Lassen Sie uns noch über die Wirkung von Farben in medizinisch- gesundheitlicher Hinsicht sprechen. Was weiß man heute darüber?

Axel Buether: Dadurch, dass Farben auf unseren körperlichen und emotionalen Zustand wirken, haben sie auch Auswirkungen auf unser Wohlbefinden. Hormonhaushalt, Stoffwechsel, Atmung, Verdauung, Appetit, Stimmung und Motivation – und zwar positiv oder negativ. Damit ist klar, dass Farben sehr stark und direkt auf unsere Gesundheit wirken – auch z. B. auf unsere Genesungszeit.
Allerdings sind diese Effekte nicht absolut zu sehen, sondern abhängig vom zeitlichen Kontext: In den 20er Jahren beispielsweise waren die Krankenhäuser vorzugsweise in sterilem Weiß gehalten. Der weißen Farbe maß man damals eine andere Qualität zu als heute – und dementsprechend war die Wirkung eine andere. Weiß stand nämlich für Hygiene, es vermittelte das Vertrauen, dass alles sauber war, und war deshalb im Krankenhausumfeld positiv besetzt. Heute haben sich die Präferenzen der Alten und Kranken verschoben. Jeder weiß heute, dass man Keime ohnehin nicht sehen kann. Weiße Farbe kann uns also heute nicht mehr Hygiene vermitteln – dazu ist zum Beispiel eher ein insgesamt gepflegter Eindruck erforderlich. Ein anonymes oder steriles farbliches Umfeld hingegen, das uns fremd ist und unseren Präferenzen widerspricht, wird Widerstand hervorrufen und die Genesung verlangsamen. Die esoterische Idee, man könne direkt mit Farben heilen, ist unsinnig – umgekehrt kann man aber durchaus mit Farben krank machen. Wer ohnehin geschwächt ist, profitiert von einem vertrauten und emotional positiv besetzten Umfeld. Häuser für Alte, Kranke und Sterbende dürfen gerade nicht wie anonyme, sterile und neutrale Durchgangsstationen oder Aufbewahrungsorte wirken, sondern müssen allen Nutzern eine Atmosphäre vermitteln, die Vertrauen schafft, Kommunikation anregt und Wohlbefinden wie Gesundung ermöglicht.

Viele Pflegeheime arbeiten mit Innenarchitekten und eben auch mit Farbgestaltern. Hier geht es um alte Menschen – und mit zunehmendem Alter ändert sich ja unsere Farbwahrnehmung. Was ist hier der heutige Stand der Dinge?

Axel Buether: Physiologisch gesehen, lässt die Sehkraft, die Schärfe der Auflösung nach. Aber auch die Orientierung ist betroffen. Hier helfen deutlich sichtbare Farbkontraste von Wänden, Decke und Boden, aber auch bei Durchgangselementen wie Türen oder Leitelementen wie Fluren und Treppenhäusern. Bewohnerzimmer, Speisezimmer, Etagen können abgestufte Formen von Identität vermitteln und damit Orientierung schaffen. Ein Vorteil der Farbe ist, dass sie auch auf große Entfernung hilft und daher zur Kennzeichnung von Räumen besser geeignet ist als Schilder.
Kinder ordnen ihre Welt nach Farben, da sie einfacher zu unterscheiden sind als Formen, Buchstaben und Zahlen. Diese einfache und unmittelbar verständliche Form der Ordnung gewinnt auch im Alter an Bedeutung. Bei Demenz helfen Farben zur Bewahrung von Sebstständigkeit, wo alle anderen Orientierungssysteme versagen.
Hintergrund für die Verschlechterung des Sehens im Alter ist weniger die Abnahme der geistigen Fähigkeiten als das Nachlassen der Optik unserer Augen. Da die Zellen in der Linse des Augenkörpers nicht erneuert werden, gehören sie zu den ältesten Teilen unseres Körpers. Die Linse verhärtet sich und trübt sich ein. Während sich die abnehmende Flexibilität durch eine Brille ausgleichen lässt, lassen sich die Effekte der Trübung nur durch harte Eingriffe wie einen operativen Austausch der Linse rückgängig machen. Alte Linsen filtern bestimmte Teile des Spektrums heraus, weshalb ältere Menschen warme rote und orange Töne weniger stark wahrnehmen können. Die Umwelt wirkt dadurch immer kühler. Um die Wärme zu erhalten, suchen alte Menschen daher vermehrt rötliche Braun- und Beigetöne und bevorzugen warme Naturmaterialien wie Hölzer, Sande, Lehme und Ziegel.

Wie sieht es eigentlich mit der Differenzierung zwischen Wand, Decke und Boden aus?

Axel Buether: Farbe spielt auch hier eine Rolle für die Sicherheit, für das Gefühl, sich sicher im Raum bewegen zu können. Ist der Boden beispielsweise heller gestaltet als Decke und Wand, dann wirkt das ungewohnt, irritierend und nicht mehr sicher. Der Boden sollte vor allem Alten und Demenzkranken Sicherheit vermitteln und deshalb dunkler gefärbt sein. Blau oder pflanzliches Grün ist auf jeden Fall zu vermeiden. Bei Wänden ist die Lage differenzierter zu sehen. Klare Farbtöne schaffen klare Grenzen, helle Töne können enge Räume ausweiten, Grün und Blau wirken öffnend nach außen.

Sie befassen sich ja mit Planungsstrategien im Zusammenhang mit Farben. Gibt es allgemein gültige Regeln, die sich aus dem bislang Gesagten für die Gestaltung eines Altenpflegeheims ableiten lassen?

Axel Buether: Für essenziell halte ich die Erkenntnis, dass pauschale Farbkonzepte oder Rezepte zur Farbgestaltung nicht funktionieren und für alle Beteiligten unsinnig sind. Stattdessen bedarf es eines differenziertes Nutzungskonzepts, bei dem die Farbgestaltung von Beginn an eine zentrale Rolle spielt. Dazu sollte man sich frühzeitig ein möglichst klares Bild von seinen Nutzern verschaffen, d. h. so viel wie möglich über sie erfahren.
Das Personal braucht z. B. für seine eigene Erholung und seine Arbeit ganz andere Umgebungen als die Bewohner. Pausenräume sollten sich von den übrigen Räumen auch farblich abgrenzen und Abwechslung vom Pflegealltag bieten. Räume, in denen sich Angehörige mit den Bewohnern treffen, sehen wieder anders aus – ihnen muss die Raumatmosphäre vermitteln, dass es ihren Eltern, Großeltern etc. hier gutgeht. Andere Farben wiederum bieten sich für Räume an, die für medizinische Anwendungen, sportliche Aktivitäten etc. gedacht sind. Wichtig bei all dem ist, so viel wie möglich mit den Menschen zu sprechen. Ganz wichtig ist die Erkenntnis, dass alle Oberflächen von Wand, Decke, Boden wie Möblierung sowie das Licht zu berücksichtigen sind. Da sich jeder Farbton durch den Kontrast mit seinen Nachbarfarben stark verändert, gehört die Farbgestaltung zu den komplexesten Aufgaben der Architektur und Innenarchitektur. Das Thema Farbe gehört heute nicht mehr zum Ausbildungskanon des Architekten und Innenarchitekten. Die Fähigkeit einer hochwertigen und nachhaltig wirksamen Farbgestaltung kann daher nicht mehr vorausgesetzt werden. Hier sind umfangreiche mehrjährige Schulungen notwendig, die praktische Erprobungen einschließen müssen. Es empfiehlt sich daher, bei jeder Bauaufgabe einen spezialisierten Farbgestalter zuzuziehen. Ein gutes differenziertes Farbkonzept trägt ganz entscheidend zum Erfolg der Investition in ein Bauwerk bei.

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