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Diplomskizzenbuch Burkhard Adam, Denken mit dem Zeichenstift
Was hat die Kiste der Pandora mit dem Diplomprojekt von Burkhard Adam gemein? Bereits am Beginn der Arbeit wurde das „starke Bild“ zum Problem für den gesamten Arbeitsprozess.
Eigentlich war anfangs alles klar. Es sollte ein Tisch werden, eine Tafel, an der verschiedene Personen zusammen eine Mahlzeit einnehmen. Dazu benötigt wurden noch verschiedene Gerätschaften, von denen Burkhard bereits eine Grundvorstellung hatte. Da blieb eigentlich nur noch die Inszenierung.
Doch da war sie zum ersten Mal, die Metapher der Pandora, und störte den Prozess durch ihr Verlangen nach einem Ritual. Die an sich einfache Frage nach der Handlung erwies sich bald als das größte Hemmnis auf dem Weg zum Ziel. Was soll gereicht werden und in welcher Art und Weise? Welche Rolle haben die Gäste und was machen die Zuschauer dabei? Wer soll was tun und warum? Kann es einfach nur ein Tisch sein oder muss es ein besonderes Objekt werden? Tut es ein normales Messer oder ist das zu profan. Ein Krug für den Wein, aber was für ein Krug erfüllt die Erwartungen an ein minimalistisches Mahl? Wein und Brot. Das letzte Mahl. Das Abendmahl. 12 Gäste sollen es sein. Einen Judas muss es geben. Wasser soll zu Wein werden. Der Tisch zu einer Tafel. Hier zeigte sich der Fluch aus der Kiste der Pandora, deren Inhalt man, sobald er durch die Öffnung erst einmal entwichen ist, nicht mehr ungeschehen machen kann. Neben Alter und Tod entwich der Kiste auch die „Mühe“ der „Arbeit, die von da ab zum festen Bestandteil des menschlichen Seins gehörte und daher auch Burkhard nicht verschont hat.
Hesiod beschrieb die Kiste der Pandora vor etwa 2.700 Jahren als „schönes Übel“. Pandora war vom Geber Zeus gewarnt. Über Pandora kamen Kiste und Warnung zum Menschen. Allein die Neugier trieb sie zum Handeln. Obgleich die Menschen anfangs nur einen kurzen Blick in die Kiste warfen, reichte diese Tat, um die darin aufbewahrten Plagen in die Welt zu lassen. So erging es auch Burkhard. Was mit Neugier begann wurde bald zur Last. Umso weiter seine Anspruchshaltung gen Himmel wuchs und sich dem Göttlichen zu nähern suchte, je zahlreicher und verwirrter wurden seine Gedanken. Was für ein Tisch konnte diese Last noch tragen, was für ein Messer musste es sein, um Dinge zu schneiden, die sich jeglicher Fassbarkeit entzogen. Die Gäste, was tun mit den Gästen! Alles erschien ihm plötzlich zu profan für das Ritual. Welches Ritual überhaupt? Wie kommen die Gäste an den Tisch? Wie holt man sie ab und geleitet sie zu ihrem Platz oder sind sie bereits da, wenn es losgeht? Wo stehen die Zuschauer? Wie lange braucht man zum Trinken von Wein und zum Essen von Brot? Reicht das überhaupt oder braucht es mehrere Gänge? Nimmt sich jeder was er braucht oder werden die Speisen und Getränke jedem einzeln gereicht? Braucht man nicht mehr dramaturgische Elemente, Licht, Klang, Material? Je phantasiereicher die Überlegungen, je weniger brachte Burkhard zu den Gesprächen mit, bis es zum Punkt kam, an dem nichts mehr ging, nichts mehr kam.
Die Phantasie, das „schöne Übel“ hatte die eigenen Erwartungen auf ein Maß anwachsen lassen, das nahezu sämtliche Aktivitäten lähmte. Die Welt erschien Burkhard als trostloser Ort, angefüllt mit profanen Dingen und sinnlosen Anstrengungen. Warum sollte man darin weiter Arbeit investieren? Warum sollte es sich lohnen, etwas zu machen, was ehedem keiner braucht, was es womöglich bereits tausend Mal gibt? Will man nicht Welt und Gesellschaft durch sein eigenes gestalterisches Handeln verändern, statt der gewaltigen Fülle an Ideen noch eine weitere, vermutlich komplett „Überflüssige“ hinzufügen. Zur Phantasie gehört auch der Zweifel, die selbstkritische Hinterfragung der eigenen Ideen. Doch die Trostlosigkeit währte auch in der Geschichte der Pandora nicht ewig und der einzig mögliche Ausweg, der den Menschen damals und Burkhard heute noch blieb war der zweite Blick in die Kiste. Vielleicht war da ja noch etwas, was ihre Verzweiflung beenden konnte. Und tatsächlich. Beim zweiten Mal, das etwas länger währte, tauchte plötzlich und an dieser Stelle völlig unerwartet „die Hoffnung“ auf.
Im Problem liegt auch die Lösung! Und so entdeckte auch Burkhard an genau dieser Stelle den einzigen Ausweg aus der Verzweifelung, den der Mensch in so einem Fall besitzt. Die Tat. Obgleich die Lösung seines Problems von Anfang an da war, konnte er sie doch erst jetzt erkennen. Sofort machte er sich an die Arbeit. Die ersten Skizzen und Arbeitsmodelle entstanden, Variationen tauchten auf. Seine Augen bekamen ein Leuchten und sein Kopf wurde frei. Plötzlich ging alles ganz leicht. Es gab einen klaren Arbeitsablauf und ein Schritt folgte logisch aus dem anderen. Was macht die Dinge zu etwas Besonderem? Wodurch verlieren sie die Profanität und transportieren die Ideenwelt ihrer Schöpfer?
Burkhard begann mit der Herstellung seiner Objekte, wobei sein Ursprungsgedanke mit jedem Schlag des Schmiedehammers, jeder Drehung der Töpferscheibe, dem Brand des Porzellans, dem Bau von Gussformen sowie dem Sägen, Fräsen und Zusammenstecken des gebeizten harten Holzes klarer hervortrat. Das Ritual der Herstellung wohnt den auf diese Weise entstandenen Objekten inne und ist für jedermann sichtbar. Die Zelebrierung des Materials, der Konstruktionen und ihrer Details schafft die Ehrfurcht und den Respekt vor der erbrachten Leistung. Nicht ein Messer, sondern das Messer, geschmiedet unter unzähligen Hieben, zur Rotglut erhitzt und im Wasser gehärtet, zu äußerster Schärfe geschliffen und über eine eigens erdachte Prägung gekennzeichnet. Genau das Messer soll es sein und kein anderes. Ebenso die schlichten weißen Keramiktafeln, die sich bündig in die ausgelassenen Nischen der Tafel einfügen oder die einfachen Becher, deren Rotationsform sich vertikal aus der Fläche emporhebt. Die schlanke Gestalt weist allein durch ihre Höhe über den Gebrauchszweck hinaus auf den Ritus, für den sie bestimmt ist. Jedes Ritual folgt einer inneren Ordnung, die über Gesten festgelegt wird. Jedes Objekt von Burkhard angefertigte Objekte fordert eine Geste, wie das Ganze das Ritual.
Der Tisch entsteht aus einem massiven schweren hölzernen Würfel, der als Ganzes kaum bewegt werden kann. Jedes Teil steckt an seinem Platz, wird vor den Augen der Zuschauer herausgenommen und zu einer neuen Einheit gefügt. Nicht nur der Tisch, sondern jedes seiner Teile ist ein Unikat. Zum Schluss werden die verzapften Verbindungen durch stählerne Nägel stabilisiert, wobei der Klang des eigens zu diesem Zweck produzierten Hammers bei den Zuschauern, die hierdurch auch zu Hörern werden, die Vorstellung des Schmiedens wachruft. Da ist sie wieder, die Metapher. Das Einschlagen der Nägel durch das Fleisch der Hände und Füße in das hölzerne Kreuz. Zweifel und Hoffnung zugleich, das Erbe der Pandora. Wenn immer es gilt, die eigenen Ideen in die Tat umzusetzen, um hierdurch das Erleben und Verhalten anderer Menschen zu verändern, muss sie neu geöffnet werden, die Kiste der Pandora.
Werkstattbilder Burkhard Adam und Inszenierung Abendmahl (Bild Matthias Ritzmann)