Inhalt

006 Einleitung – Ansichts-Sachen oder Urban Interface? Markus Schlegel
010 Urban Coding: Städte sind Zeichensysteme, Gerdum Enders
024 Farbe als Gedächtnisspur, Axel Buether
034 Die Bedeutung von historischen Stadträumen in Gegenwart und Zukunft, Christoph Gerlach
044 Lieblingsplätze – Wünschenswerte Szenarien für Stadträume
innerhalb einer zukunftsfähigen Stadt, Sabine Foraita
056 Farbe und Atmosphäre im städtischen Raum, Rainer Kazig
060 Das Potenzial des Materials für Architektur und Stadträume, Hannes Bäuerle | Joachim Stumpp
066 Farbmasterplanung erfolgreich kommunizieren: Wie Bürger und Eigentümer beteiligt werden können, Olaf-Axel Burow
078 Der Prozess FMP „Farbmasterplan“, Markus Schlegel
102 Farbgestaltung im öffentlichen Wohnungsbau, Stefan Fölsch | Georg Unger |
Axel Nething und Oliver Schmidt | Margit Vollmert und Carmen Rubinacci
122 Farbgestalung im privaten Wohnungsbau, Daniel Arnold
126 Farbmasterplanung versus Städtebau, Dietmar Weber | Sabine Guttmann | Thorsten Warnecke | Reinhard Maier | Marion Spanier-Hessenbruch
148 Stadträume sind Prognosen! Plädoyer für eine nachhaltige Stadtplanung, Meike Weber
152 Fazit, Gerhard Fuchs

Auszug aus dem Buchbeitrag „Farbe als Gedächtnisspur“, Axel Buether

Farbe als Zugang zum anschaulichen Wissensarchiv unserer Städte

Aktuelle Forschungsergebnisse der Neuropsychologie zeigen, dass der Mensch etwa 80 % aller Informationen über das Sinnesmedium Farbe erhält, deren Verarbeitung die Gehirnleistungen zu etwa 60 % in Anspruch nimmt. Sobald der Mensch die Augen öffnet, befindet er sich über 250 Millionen Sehzellen in einem permanenten Informationsaustausch mit der Umwelt.1 Nicht einmal 10 % davon können das Spektrum des Lichtes in Farbsignale wandeln, doch konzentrieren sich diese im fovealen Zentrum der Netzhaut, über das der motorische Cortex die Augenbewegungen steuert. Wie die Spitze unseres Zeigefingers bewegen wir den Blick permanent über das zeiträumlich strukturierte Netz aus Farbflächen und zeichnen hieraus Buchstaben, Formen und Räume. Jede Veränderung der Farbstruktur verweist auf Bewegungen, in denen wir konkrete Verhaltenszustände und Handlungszusammenhänge wiedererkennen. Im Grenzverlauf zwischen den kontrastierenden Farbflächen zeigen sich Spuren, über die wir Bedeutungen lesen, ganz gleich ob es sich um Worte oder Bilder handelt.

Unsere Städte funktionieren wie Bibliotheken, in denen uns die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ablesbar wird, insoweit wir die sprachliche Struktur der Farbcodes verstehen und auf die davon bezeichneten Bedeutungen zurückführen können. Im Gegensatz zu den Buchstaben eines Textes existieren Linien in der Umwelt fast ausschließlich durch den Kontrast verschiedener Farbflächen, deren einfachstes Unterscheidungsprinzip auf die Abgrenzung von Körper und Grund zurückgeht. In dem Maß, in welchem wir bei der Gestaltung der Stadträume auf Farbkontraste verzichten, verschmelzen die Einzelformen untereinander zu neuen Ganzheiten. Oftmals bilden sich hierdurch riesige Fassadenflächen, Massen und Volumen. Während sich jede Linie deutlich auf dem Plan abzeichnet, verschwindet sie vollständig, sobald zwei Flächen gleicher Farbe aneinandergrenzen. Die Komposition von Farbflächen zueinander und zum Ganzen bestimmt die Lesbarkeit der topologischen, typologischen, gestischen und perspektivischen Zeichenstruktur. Aus den Eigenheiten spezifischer Fassaden gehen Baukörper hervor, während Einzelbauwerke in der Silhouette von Straßenzügen untergehen. Im Stadtraum definieren sich die anschaulichen Raumbeschreibungsgrößen wie Gestalt, Gliederung, Maßstäblichkeit, Proportion und Perspektive über die Kontrastwirkungen der Farben im Licht.

Nicht die Farbe an sich, sondern die farbige Codierung unseres gesamten soziokulturellen Lebensraums schafft die Voraussetzung für die Interpretationsleistungen des Gehirns. Dabei gehört der unbunte Farbraum zwischen dem Hell und Dunkel ebenso zum Spektrum des sichtbaren Lichtes, wie die vielen Millionen von Buntfarben, die unser visuelles System durch Abgrenzung und Vergleich unterscheiden kann. Durch die Abgrenzung der Farbflächen bilden sich Formen und Muster, deren Ausdehnung wir in Raum und Zeit wahrnehmen. Wir können in der gleichen Betrachtungszeit wesentlich mehr Informationen aus dem energetischen Spektrum der Umwelt gewinnen, wenn wir bei der Deutung neben den Helligkeits- zugleich auch auf die Bunttonkontraste zurückgreifen können. Dieser evolutionäre Vorteil spiegelt sich in der Gestaltung unseres Kulturraums und den dazugehörigen Kommunikationssystemen auf anschauliche oder vielfarbige Weise wider.

Mehr dazu in der Buchpublikation:

Stadtfarben

Strategische und zukunftsfähige Planung von Stadtraum und Atmosphäre durch Farbmasterplanung

Societäts-Verlag 2013, Schriftenreihe Lebendige Stadt Band 8

ISBN 978-3-942921-87-9


Hinterlasse einen Kommentar